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Kultur: Man trägt bunt

Die etwas andere Konferenz: Junge kritische Architekten rollten im Wedding die Schlafsäcke aus

Eine 500 Quadratmeter flache Lagerhalle, ebenerdig. Eine Schlaflandschaft. Hier übernachten ungefähr hundert Personen, auf Getränkekisten, die zu mehreren Ebenen gestapelt und mit Matratzen, Stockbetten und Rollrasen belegt sind. In der riesigen Halle sind verschiedene Welten im Angebot, sacht und sachlich angedeutet. Pflanzen, Strandmatten und Schilf markieren die karibische Ecke, Zelte sorgen für Ostseeatmosphäre. Wer will, kann weiterbauen. Schließlich ist das eine Architekturkonferenz.

Das „Camp for Oppositional Architecture“ hat die Zeitschrift „An Architektur“ ausgerufen, die seit 2002 halbjährlich in Berlin erscheint und mit ungewöhnlicher Grafik und Themen wie „Krieg und die Produktion von Raum“ oder „Gemeinschaftsräume“ schnell internationale Anerkennung gefunden hat. Drei Tage lang wird man in den stillgelegten Weddinger Fabrikräumen von Rotaprint – Druckmaschinenhersteller seit 1904 und zeitweise einer der größten Arbeitgeber des Bezirks – über oppositionelle Stadtplanung und Architektur, Interventionen und Nutzerbeteiligung diskutieren. Die Zeit scheint reif, die Unzufriedenheit ist groß: mit den Arbeitsbedingungen in hierarchisch organisierten Architekturbüros, mit den starren Vorgaben der Investoren und staatlichen Instanzen, mit der rasant fortschreitenden Privatisierung öffentlicher Räume.

Und weil dies kein übliches Architektentreffen ist, sucht man vergebens nach der schwarzen Einheitskluft der Zunft. Man trägt bunt. Die Teilnehmer kommen aus 16 Ländern und viele hauen sich nach der Ankunft erst mal aufs Ohr, um Schlaf nachzuholen. Der Architekt Bryan Bell ist bereits am Vortag aus North Carolina angereist, von Jetlag merkt er nichts. Er spricht über die Unterkünfte, die er zusammen mit Studenten für und mit migrantischen Saisonarbeitern erarbeitet. Bell hat recherchiert, das nur zwei Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung Bauvorhaben mit Architekten planen – der Rest begnügt sich mit standardisierten Fertighäusern. Diese unwissenden 98 Prozent will er kriegen. Und zwar mit seiner Form oppositioneller Architektur – mit Nutzerbeteiligung von Anfang bis Ende des Bauprozesses, und mit sensationell kleinen Kalkulationen.

Bell greift zum Bauen gerne auf sogenannten Müll zurück – ausrangierte Windschutzscheiben, Lehm, Pappe, Wellblech, Bierflaschen. Dass schon in den 20er Jahren, in der Zeit der wirtschaftlichen Depression, Tageszeitungen als alternative Tapeten benutzt wurden, kann Bell mit einem Foto von Margaret Bourke-White belegen. Traditionen spielen in den nächsten Tagen aber keine Rolle mehr. Stattdessen: „Was tun?“ Das Lenin-Zitat impliziert, dass eine Menge im Argen liegt. Arbeitsgruppen teilen sich also auf in Untergruppen und Subgrüppchen, füllen große Papptafeln mit Diagramme, denken laut über Realitäten, Wünsche und Möglichkeiten nach, streiten darüber, ob man antikapitalistisch, sogar sozialistisch sei, wie böse der Markt und der Investor ist, und vor allem: wie es weitergeht. Reichen drei Tage in Berlin, um eine globale Bewegung in Gang zu setzen?

Peter Marcuse (New York) zerschneidet am Samstagabend den Gordischen Knoten. Der nicht nur älteste, sondern wahrscheinlich auch radikalste Camp-Besucher – einziger Sohn des exilierten deutschen Philosophen Herbert Marcuse – engagiert sich als Stadtplaner und Professor an der Columbia University gegen die sozial-räumlichen Auswirkungen, die George W. Bushs Setzung eines „War Against Terrorism“ mit sich bringt. Da geht es um die Einschränkung des öffentlichen Raums oder um die Verdrängung Wohnungsloser aus dem Stadtbild New Yorks – um an vermeintlicher „Sicherheit“ zu gewinnen. „Es geht um die wirklichen Probleme der „real people“, echter Menschen“, so stellte Marcuse sehr bestimmt fest. Dass diese Probleme existieren, sei doch Grund genug, sie zu bekämpfen: die Missachtung der Menschenrechte; gerade was Amerikas Krieg im Irak betrifft, die Ausbeutung der „Dritten Welt“, Rassismus, Sexismus. „Es ist ziemlich klar, was falsch ist. Es ist nicht klar, was man dagegen tun kann.“

Nicht umsonst soll mit dem Camp an die legendären C.I.A.M.-Kongresse angeknüpft werden, die für die internationale Architekturgeschichte ungefähr das waren, was die „Gruppe 47“ für die deutsche Nachkriegsliteratur bedeutet. 1933 formulierten die Gründungsväter dieses Architekturkongresses, darunter Le Corbusier und Walter Gropius, auf einem Schiff die „Charta von Athen“. Die Bootsfahrt hatte man sich geschenkt. Zu wenig Zeit, zu eingemummelt ist man inzwischen auch in dem Fünfzigerjahre-Gebäude, das eine Maßanfertigung für diesen Kongress zu sein scheint, mit seinen verglasten Konferenzräumen, die zu Rotaprint-Zeiten der Konstruktionstrakt waren, seinem großzügigen Innenhof, der zum Hof verglasten Schlafhalle, ehemals Maschinenlager.

In der Nacht legt der DJ Eric D. Clark auf und beglückt mit seinen Whirlpool-Hits „From Disco to Disco“ und „The Cold Song“ die Tanzenden. Wer nicht tanzt oder bereits schläft, hält sich bis zum frühen Morgen mit Wettzeichnen wach. Seltsame Arbeitsethik: Die Zeichner beschimpft man hier als Nachtarbeiter. Zur Abschlusskonferenz wird dann frei nach Gropius und Corbusier eine Charta präsentiert: „Wir setzen uns dafür ein, alle Manifestationen von sozial-räumlicher Ungleichheit, von Ausbeutung und Mangel zu bekämpfen. Wir werden die Kritik der kapitalistischen Produktion und den Gebrauch gebauter Umwelt weiterverfolgen.“

Über die politische Bedeutung dieses Camps, über Begriffe wie „oppositionell“ oder „radikale Demokratie“ kann man sich streiten – das nächste Mal vielleicht in Glasgow, Malmö oder Nordfrankreich. Dort hat man bereits Interesse an den Nachtarbeitern signalisiert.

Die Zeitschrift „An Architektur“ wird die Themen des Kongresses im Herbst aufgreifen. Informationen zum Kongress: www.anarchitektur.com

Stephanie Wurster

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