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Kultur: Maniküre gegen die Trauer Tschetschenien in den Medien –

eine Diskussion in Berlin

Wochenende. Freitagabend. Kino. Doch hier musste das Publikum auf die tröstliche Gewissheit verzichten, dass das schreckliche Geschehen auf der Leinwand nur Fiktion ist. Denn bei der Veranstaltung „Tschetschenien im Spiegel der Medien“ der Berliner Festspiele, im Rahmenprogramm der Ausstellung „Berlin – Moskau“, ging es genau darum: die Wahrnehmung von nackter Wirklichkeit.

Gezeigt wurden sieben Filme über die Situation in Tschetschenien, allesamt in den Jahren 2000 bis 2003 entstanden. Sie gewähren einen schonungslosen Einblick in den Alltag der tschetschenischen Zivilbevölkerung in dem nun fast zehn Jahre währenden Krieg. Man haust auf engstem Raum in Ruinen, drangsaliert von der Willkür des russischen Militärs. Erschütternd die Szene, in denen ein Mann aus russischer Gefangenschaft freigekauft wird, abgemagert und mit Folterspuren in seine Familie zurückkehrt. Von bizarrer Heiterkeit dagegen ein Schönheitssalon in Grozny: Junge Frauen blättern in Modemagazinen und lackieren sich die Fingernägel, tanzen auch einmal die Lesginka. Alle haben einen großen Teil ihrer Familien verloren und versuchen auf diese Art, gegen ihre Trauer anzugehen.

Zu Beginn der anschließenden Diskussion lässt es sich der Moderator Ekkehard Maaß nicht nehmen, dem russischen Kulturministerium voller Ironie seine „tiefe Dankbarkeit“ für den Protest gegen die Veranstaltung auszudrücken, die eigentlich unter dem Dach von „Berlin – Moskau“ im Gropiusbau hätte stattfinden sollen (Tagesspiegel vom 25.11.): So konnte sie in den viel „schöneren und größeren“ Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek verlegt werden.

Die Oscar-gekrönte Schauspielerin Vanessa Redgrave, die sich seit Jahren für die Rechte der Tschetschenen einsetzt, zitierte ausführlich aus dem britischen Gerichtsurteil, mit dem der Antrag der russischen Regierung abgelehnt wurde, Achmed Sakajew, den Stellvertreter des gewählten, aber untergetauchten tschetschenischen Präsidenten Maschadow auszuliefern. Das Fazit: Die Situation in Tschetschenien hat sich nicht normalisiert, Folter existiert, der Krieg geht weiter und kein Tschetschene kann sich in Russland sicher fühlen.

Das bestätigt die französische Filmemacherin Manon Loiseau, als sie von den zwei Wochen in Tschetschenien im Frühjahr erzählt, als sie dort heimlich filmte. Sie betont, dass die verschwundenen Menschen keine Einzelfälle seien. Manche gefundenen Leichen hätten keine Organe mehr gehabt. Ihr russischer Kollege Andrej Nekrassow schämt sich angesichts der geschilderten Verbrechen ein Russe zu sein. Er beklagt den falschverstandenen Freundschaftsbegriff des Westens gegenüber Russland, in dem offene Worte wie in einer ehrlichen Freundschaft fehlen. Apti Bisultanov, im Berliner Exil lebender tschetschenischer Dichter – fast schon eine Art Nationaldichter –, wehrt sich gegen die Gleichsetzung der tschetschenischen Freiheitskämpfer mit den Terroristen in Afghanistan in den Medien. Es hagelt reichlich Medienschelte an diesem Abend.

Auch der russische Duma-Abgeordnete Iwan Rybkin findet in Anspielung auf den Veranstaltungstitel keinen „Spiegel“, bestenfalls einen „Zerrspiegel“ – er sprach hierbei von Russland. Engagierte Journalisten wie Anna Politkowskaja, die eigentlich an der Veranstaltung hätte teilnehmen sollen, würden zu Ausgestoßenen im eigenen Land.

Markus Meckel, Bundestagsabgeordnerter der SPD, freut sich mitzuteilen, dass Achmed Sakajew bereits in die Fraktion eingeladen sei und plädiert für eine klare Ansage gegenüber Putin, dass sich das, was in Tschetschenien passiert, nicht mit einer Westorientierung vereinbaren lässt. Ein schwacher Trost, denn das Publikum wird an diesem Abend mit dem Wissen um die drohende Vernichtung eines Volkes auf europäischem Boden entlassen.

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