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Kultur: Mann isst Mann

Die Berliner Schaubühne kämpft „Im Dickicht der Städte“ – und Brecht erlebt eine seltsame Renaissance

Die gegenwärtige Brecht-Welle scheint vor allem eines zu bringen: eine gründliche Brecht-Entzauberung. So schlecht ging es Brecht also noch nie wie jetzt, da drei große Berliner Bühnen seine Dramen wiederentdecken?! Woher die Renaissance rührt, darüber kann man nur spekulieren. Offenbar braucht’s Vaterfiguren (freilich längst überwundene), und es braucht auch relativ einfache und klare Antworten auf eine Welt, die jeden Tag ein bisschen anders wird, als wir sie gern hätten. Man greift nach Brecht – und nicht nach dem dunklen, schwierigen Heiner Müller –, so wie sich der amerikanische Präsident in der Not plötzlich des Alten Europas erinnert. Brecht ist immer auch gut für die Kasse.

Zadeks „Mutter Courage“ am Deutschen Theater: ein holzschnitthaftes Stück vom Krieg. Peymanns „Mutter“ und die Schlachthof-Johanna: sozialistische Feen-Märchen. So ist er halt, der Brecht. Bleibt die Hoffnung auf den jungen, anarchischen B. B. , den Kraftkerl, der noch nichts von seiner Konversion zum Kommunismus ahnte und sich auch nicht den kommerziellen Erfolg der „Dreigroschenoper“ träumen ließ, der ihn so aus der Fassung brachte. Weil die Leute, schimpfte Brecht nicht ohne Koketterie, sich mehr für Sex & Crime als für den politischen Gehalt der Macheath-Geschichte interessierten.

Und nun die Schaubühne im „Dickicht der Städte“: Es ist das älteste der aktuellen hauptstädtischen Brecht-Stücke, uraufgeführt 1923. Am Lehniner Platz inszeniert: seziert von Grzegorz Jarzyna. Der Regisseur gilt als eine der wichtigsten polnischen Theatermacher der jüngeren Generation; er war vor ein paar Jahren in Berlin mit seiner „Doktor Faustus“-Adaption nach Thomas Mann zu sehen.

Brecht und Karl May

Jarzyna (er inszenierte auch schon Kleist) hat eine Schwäche fürs Deutsche. Macht Jarzyna hier den armen B.B. zur Schnecke – oder ist sein Respekt vor Brecht so groß und so radikal, dass er im „Dickicht“ die Axt schwingt wie kaum je einer? Doch, doch: Er hat Brecht verdammt genau gelesen: „In meinem Stück sollte die pure Lust am Kampf gesichtet werden.“ Warum sich der reiche Holzhändler Shlink ohne Rücksicht auf menschliche und finanzielle Verluste in ein absurdes Duell mit dem kleinen Buchhändler Garga stürzt, das sei unwichtig – sagt schon Brecht. Keine Psychologie! Aber viel Romantik.

Begeistert vom Box-Sport, den Kopf voll höllenheißer Literatur (Rimbaud!) und Amerika-Visionen, dichtete Brecht diese präpotente, spätkapitalistische Moritat, in der sich Brechts Lederjacken-Machismo mit verkopfter Homorerotik mischt. Ein Kampf, den viel später Bernard-Marie Koltès wieder aufnahm, „In der Einsamkeit der Baumwollfelder.“ Brecht freilich kannte damals das erzkapitalistische Amerika noch nicht, das er so eisern idealisierte; darin dem „Reiseschriftsteller“ Karl May nicht unähnlich, der sich edle Indianer erdachte.

Und das hat Jarzyna kapiert. Das setzt er konsequent und brutal um. Wir kriegen die Knochen eines Dramas hingeworfen, das eigentlich schon immer nur aus einem Skelett bestand. Nein, wirklich keine Spur von Psychologie. Die Akteure bewegen sich und reden wie aufgezogen – und wir sehen einen Comic-Strip. Einen doppelten: Die Schauspieler, irgendeinem höheren Gesetz gehorchend, gebärden sich wie Comicfiguren. Und auf der Rückwand des silbrig-schicken Containers laufen dann auch noch japanische Sex-Comics ab. Dabei ist der cinemascopisch flache Bühnenbau (Ausstattung: Margorzata Szczesniak) sogar noch wie auf einer Cartoon-Leiste in rechteckige Felder (Räume) aufgeteilt. Die Musik von Piotr Dominski und Pavel Mykietyn, eine Art asiatischer Techno, könnte aus einem Action-Film stammen. Brecht als Vorläufer von Bruce Lee, Karate-Kid und Manga-Comics. Das ist scharf gedacht: Was damals Amerika war, ist heute Asien. Das Angstbild, die Zukunft.

Sport und Mord

Bei Robert Beyers Garga, dem Juniorpartner dieses kannibalischen Gassenkampfes, lässt sich das Prinzip Comic am besten erkennen. Das Leichtgewicht hüpft von einer Tortur zur nächsten, ohne je eine Verletzung oder Veränderung zu zeigen. Da Comic-Helden nun einmal unsterblich sind. Vielleicht haben ihre Worte deshalb kaum Bedeutung: Beyer spricht seinen Brecht weg, als wäre es nichts; und vielleicht steckt auch wirklich nicht so viel dahinter. Man denkt bei Beyer an den jungen Martin Wuttke, der 1992 in der Hamburger „Dickicht“-Inszenierung von Ruth Berghaus den Garga spielte. Doch Beyer hat überhaupt keine Nerven, kein Rückgrat, keinen Willen, nur eine etwas treuherzige Art – so stiehlt er sich durch das Stück. Kein Gegner für Hans-Michael Rehberg. Soll man den einen Buddha nennen, wie er dasitzt, ungerührt im Halbdunkel? Ein wildes Tier? Oder ist er ein einsamer alter Mann, der den Tod sucht in der Liebe zu einem Nobody? Rehbergs Shlink ist keine Comic-Figur, fast schon ein Übermensch, ein so trauriger. Und auch er nimmt, wie Garga, alles hin – jedoch mit der schier unendlichen Verzögerung stummen Leids. Rehberg überwindet, vollendet Jarzynas Konzept-Regie.

Wie auch Jule Böwe: Sie spielt Marie Garga, die Schwester des Kombattanten. Ein Sex-Püppchen auf den ersten Blick. Ein Abziehbild. Und plötzlich, in einer langen, vom Regisseur ausgekosteten Vergewaltigungsszene, findet sie eine emotionale Sprache, dass es einem das Herz zerreißt. Was man von Anne Tismer (sie stellt Gargas Freundin Jane dar) und von Imogen Kogge (Mutter Garga) nicht sagen kann: Sie sind und bleiben Karikaturen, gezwungen zu alberner Stimmakrobatik und schalem Klischee. Das gilt leider für all die Gangster und Gangsterbräute: billige Statisterie.

Ein Kampf. Was für ein Kampf? Jane wird mit ihren eigenen Eingeweiden erwürgt (!?), Shlink schlitzt ein weißer Gorilla die Kehle auf. Und Garga bemerkt am Schluss kleinlaut: „Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.“

Nein, reine Freude kommt nicht auf für Ritualmord und Theatersport. Weggekämpft wird mit High-Tech die eher biedere Brecht-Tradition. Und der Blick wird frei: auf eine große Leere.

Wieder heute, am 13. und 25. 9.

Rüdiger Schaper

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