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Barth Olympiastadion

© Thilo Rückeis

Mario Barth: Hölle, Hölle, Hölle

Weltweit hat es das noch nicht gegeben, dass 70.000 Menschen zusammengekommen sind, um einem Mann zuzuhören, der ihnen gut zwei Stunden lang Witze erzählt. Schwer zu sagen, worüber sie sich mehr freuen: über die Witze, oder einfach über die Tatsache, dass sie dabei sein dürfen.

Das Berliner Olympiastadion jubelt, als zum ersten Mal das Stichwort „Nussloch“ fällt. „Kennt Ihr Nussloch?“, fragt Mario Barth, und 70 000 Menschen in der ausverkauften Arena kreischen. Natürlich kennen sie Nussloch. Einige von ihnen tragen sogar T-Shirts mit der Aufschrift „I survived Nussloch.“ Nussloch, das ist die Nummer mit dem Handtaschen-Fabrikverkauf. „Da kaufst du keine Fabrik, da kaufst du in einer Fabrik“, sagt Barth, und dann erzählt er die Geschichte, wie er eines Morgens um fünf mit seiner Freundin 650 Kilometer weit bis nach Nussloch fährt, weil sie eine Handtasche kaufen will. „Handtaschen gibt es ja nicht in Berlin“, witzelt Barth, er fasst sich an den Kopf und schüttelt sich, denn so sind Männer nun mal, brechen morgens um fünf mit der Frau, die sie lieben, zu einer Shoppingtour in die Provinz auf, weil die Frau sagt: „Nicht, dass wir da ankommen und es gibt nichts mehr.“

„Nussloch“ ist für Mario Barth das, was für die Rolling Stones „Sympathy for the Devil“ oder für Herbert Grönemeyer „Männer“ war: sein größter Hit, ein garantierter Abräumer. Eine Viertelstunde steht Barth nun auf der Bühne, das Warm-up ist vorbei, die Performance erreicht ihren ersten Höhepunkt. Hinter Barth erhebt sich ein gigantischer, mit Plastikfolien verkleideter Nachbau des Brandenburger Tors. Der Komiker trägt Jeans und ein T-Shirt, auf dem ebenfalls das Brandenburger Tor zu sehen ist und darüber die Widmung: „12-07-2008 Danke, Berlin.“ Berlin, das Brandenburger Tor und Mario Barth sind einen Tag lang eins, denn dies ist ein historischer Tag. Weltweit hat es das noch nicht gegeben, dass 70 000 Menschen zusammengekommen sind, um einem Mann zuzuhören, der ihnen gut zwei Stunden lang Witze erzählt. Die 70 000 Fans sind begeistert und es ist schwer zu sagen, worüber sie sich mehr freuen: über die Witze, die sie sowieso schon kennen, oder einfach über die Tatsache, dass sie dabei sein dürfen bei diesem Ereignis.

„Männer sind primitiv, aber glücklich“ heißt die Comedy-Tournee, die an diesem Abend im Olympiastadion endet. Seit Anfang 2006 war Mario Barth damit unterwegs, 1,6 Millionen Zuschauer haben das Programm gesehen. „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“, das wusste schon der große Loriot. Aber Barth ist der erste Komiker, der diese schlichte Erkenntnis zum ausschließlichen Inhalt seiner Auftritte erhoben hat. Seine verschlungen vorgetragenen Erzählungen handeln vom Nicht-Zusammenpassen der Geschlechter, das dort besonders grotesk wirkt, wo sich die Geschlechter eben doch aufs Zusammensein einlassen: in der Liebe.

„Frauen quatschen permanent, die halten Gespräche am Laufen, die fragen nach. Wir Männer nehmen Informationen einfach nur hin“, so geht ein Mario-Barth-Witz. Oder so: „Du kannst mit einer Frau durch die Wüste laufen und mitten in der Wüste ist eine Stadt mit Sand. Sie will nur mal gucken. Und du fragst: Wofür brauchst du Sand? Dann zieht sie den Joker: zum Dekorieren.“ Oder so: „Frauen gehen immer zu zweit aufs Klo. Eine ist die Aktive. Und die andere steht Schmiere. Die Aktive fragt: Claudia, sind wir allein? Claudia sagt ja und dann ...“ Barth imitiert ein Furzgeräusch. „Wenn aber drei Männer in einem Raum sind und einer lässt einen fahren, da sagen die anderen: Respekt.“

Barth schreckt vor keiner Plumpheit zurück, aber bösartig wird er nie. Seine Scherze brechen – anders als die von Harald Schmidt oder Ingo Appelt – keine Tabus. Und seine Freundin, die immer wieder als Zielscheibe herhalten muss, die er mit wackelndem Entengang und tuntig quiekender Stimme nachäfft, die hat Barth tatsächlich. Sie soll Paula heißen, er lernte sie auf Fuerteventura kennen, wo der gelernte Siemens-Elektroniker als Animateur in einer Surfstation arbeitete. „Die sitzt da oben“, sagt Barth am Beginn seines Auftritts und zeigt über die Köpfe seiner Fans hinweg auf die besseren Plätze im Logenbereich des Stadions. „Sie ist ’ne Nette, du bist ’ne Knallerfrau“, schwärmt er. „Aber ich verzweifle teilweise.“ Vielleicht ist es die unter solchen Ruppigkeiten versteckte Harmlosigkeit, die den 35-jährigen Kreuzberger zum derzeit erfolgreichsten deutschen Humoristen hat werden lassen.

Ein Großteil seines Publikums besteht aus Paaren. Dass Frauen sich eine Stunde lang im Badezimmer „bettfertig“ machen, Männer aber dafür bloß die Schuhe ausziehen müssen, dass Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken können, das sind die Gemeinplätze aus dem Geschlechterkampf, an denen sich Barth entlanghangelt. Manche dieser Klischees kennen die Paare möglicherweise schon aus ihrem Alltag. Bei Barth können sie darüber lachen. Comedy als Therapieersatz.

Der Weltrekord-Auftritt beginnt mit einer Pressekonferenz in den Katakomben des Stadions. Barth ist schlagfertig und schnell, er versichert: „Icke bin aufgeregt, mir geht der Kackstift“. Dann überreicht ihm ein Vertreter des Guinness-Buch der Rekorde eine gerahmte Urkunde, die bestätigt, dass Barth der weltgrößte Live-Komödiant ist. Letzter Titelinhaber war übrigens der New Yorker Komiker Chris Rock, der es jedoch nur auf 16 000 Zuschauer brachte. Barths Einfall, das Olympiastadion anzumieten, soll anfangs eher eine Schnapsidee gewesen sein. Aber dann war die Arena innerhalb von wenigen Wochen ausverkauft.

Zwei Stunden vor der Show branden die ersten La-Ola-Wellen durch die Ränge. Im Vorprogramm muss die Deutschrockband Silbermond, die angeblich eine Wette mit Barth verloren hat, einige der schlimmsten Partyknaller aller Zeiten covern: „Highway To Hell“, „Life Is Life“, „Cherry Cherry Lady“ und „Wahnsinn“ von Wolfgang Petry. Hölle, Hölle, Hölle. „Ich hab’s geschafft“, jubelt Barth, als er schließlich auf die Bühne schlendert. „Das ist so geil, das ist der größte Tag in meinem Leben.“

Der Entertainer betont gerne, dass er aus kleinen Verhältnissen stammt. Er wuchs mit fünf Brüdern auf, seine Mutter, die eine winzige Rente bezieht, lädt er inzwischen großzügig zum Wellness-Urlaub auf Mallorca ein. Barths Idol ist Harald Juhnke, ebenfalls ein Aufsteiger aus dem Icke-Proletariat. So endet der Auftritt mit Juhnkes Hymne „Mensch Berlin“, die Barth mit dem alten Juhnke-Kumpel Paul Kuhn neu aufgenommen hat. „Berlin, ich sag’ danke“, grummelt Barth, allerdings bloß vom Playbackband. „Mensch Berlin, du hast zwar manchmal Sorgen/ Doch du bist sexy und hast jede Menge Flair.“ Und dann schießen Feuerfontänen aus dem Brandenburger Tor und Feuerwerksraketen explodieren im Berliner Nachthimmel. Wahnsinn.

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