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Intrigenstadl. Szene aus "Viel Lärm um nichts".

© Eventpress Hoensch

Marius von Mayenburg: Fiese Flüsterfallen: Saisonauftakt an der Berliner Schaubühne

Frösche, Slapstick und Intrigen: Marius von Mayenburg inszeniert Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ an der Schaubühne in eigener Übersetzung als wildes Kostümfest.

Die neue Berliner Theatersaison ist zwar gerade mal zwei Premieren alt. Aber dafür wirft sie bereits – Chapeau! – erstaunlich fundamentale Fragen auf: Ist es eigentlich zuschauerfreundlicher, mit den ganz großen Vokabeln („Demokratie“, „Krieg“ etc.) im Theoriegepäck einzusteigen, dann aber im Bühnenvollzug so komplexitätsarm daran zu scheitern wie gerade das Deutsche Theater mit seinem Schiller-Salazar-Doppelpack „Demetrius/Hieron. Vollkommene Welt“? Oder ist es schlauer, überbordende Ansprüche erst gar nicht zu formulieren, sondern lieber eine lustige Identitätchen-wechsel- dich-Nummer zum Saisonstart aufzufahren, die ganz offensiv wie ein verfrühtes Silvesterknallbonbon daherkommt?

Wirklich beantworten wollen wir die Präferenzfrage eigentlich nicht: Es besteht ja Hoffnung, dass sich nicht die komplette Saison in diesen Alternativen erschöpft! Aber vorerst lässt einen der Schaubühnenstart tatsächlich ähnlich unbefriedigt zurück wie der am Deutschen Theater – nur eben auf andere Weise.

Marius von Mayenburg, bewährter Hausautor, Dramaturg und Regisseur am Lehniner Platz, hat sich – in eigener Übersetzung – die Komödie „Viel Lärm um nichts“ vorgenommen. Darin schickt William Shakespeare zwei Paare durch die Intrigenschmiede ihrer mal mehr und mal weniger wohlwollenden Mitmenschen. Hart erwischt es den erfolgreichen Kriegsheimkehrer Claudio (Moritz Gottwald), der auf die betrügerische Aktion des ewigen Zukurzkommers John (Robert Beyer) hereinfällt, ihm seine Braut Hero (Jenny König) madig zu machen: Unmittelbar vor der geplanten Hochzeit inszeniert dieser diabolische Destrukteur eine vermeintliche Liebesnacht Heros mit seinem Kumpel Borachio (Bernardo Arias Porras), woraufhin Claudio die designierte Gattin mit verdächtigem Genuss an Erniedrigung und Beleidigung direkt vor dem Altar sowie den Augen ihres Vaters (Kay Bartholomäus Schulze) demütigt und vorerst ungeheiratet stehen lässt.

Die Wahrheit findet sich noch am ehesten im Schmacht-Popsong

Umgekehrt verhält es sich mit dem Figurenpaar Beatrice (Eva Meckbach) und Benedick (Sebastian Schwarz), das einander in herzerfrischend elaborierter Verachtung zugetan ist und durch eine, wenn man so will, positive Intrige verkuppelt wird: Die lieben Freunde und Verwandten flüstern jedem der beiden so schmeichlerisch ein, wie unsterblich der jeweils andere angeblich in ihn verliebt ist, dass Beatrice und Benedick tatsächlich daran glauben.

Mit anderen Worten, nämlich denen aus dem Pressetext der Schaubühne: „Shakespeare zeigt hier die Liebe als ein soziales Konstrukt, das sehr zerbrechlich ist und schnell an gesellschaftlichen Konventionen zerschellt – oder eben durch gesellschaftliche Intervention zustande kommt.“ Das Zeug, einen vom Hocker zu reißen, hat diese in Richtung Systemtheorie schielende Diagnose – zumal so als singuläre Saisonauftakterkenntnis – sicher nicht. Außerdem wurde sie in der Schaubühne bereits mehrfach durchbuchstabiert; mit ähnlichen Stilmitteln: Von wegen fragiler Subjektkonstitution und postmodernem Identitätenpotpourri versetzt uns Mayenburg in eine abendfüllende Faschingsparty-Sause, in der Persönlichkeit und Posing, Sein und Bewusstsein, Ich und (popkulturelles) Role Model sowie in diesem speziellen Fall auch Videokunst (Sébastien Dupoueys) und Live-Bühnenaktion unentwirrbar ineinanderdriften und die Wahrheit noch am ehesten im Schmacht-Popsong zu finden ist.

Das schlüssig und beherzt dezimierte Shakespeare-Personal wechselt zwei Stunden lang nahezu minütlich die Muschelbikinis, Netzstrumpfhosen, Froschkostüme und Uniformen und slapstickt sich über ein zwischen Varieté und TV-Show changierendes Unterhaltungssetting (Bühne und Kostüme: Nina Wetzel). Es bewegt sich in metiersicherer Trash-Lust durch sämtliche Formate vom Stummfilm über „King Kong“ und Highschool-Schnulze bis zu Seifenoper und Sci-Fi. Vom Marlene-Verschnitt mutiert es zum uniformierten „Wüstenfuchs“, scheint Kriegsreferenzen überhaupt mit extrakritischer Übersteuerung zu behandeln und lässt keine Gelegenheit aus, sich popmusikalisch ins Mikro zu entäußern.

Das ist zwar alles äußerst kurzweilig und handwerklich komplett in Ordnung, aber eben auch auf eine Weise werktreu, die so sicher nicht intendiert war: Wir erleben halt viel Lärm um nichts.

Wieder 2./3.9. u. 21.–23.9., 20 Uhr

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