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Unser Autor Harald Martenstein.

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Martenstein kommentiert: Bei der Berlinale merkst du, ob du stark bist

Ein Kollege erzählte unserem Kolumnisten Harald Martenstein, dass er in chinesischen Filmen die Schauspieler nicht auseinander halten kann. Passiert eben, bei all dem Stress. Erst auf dem Festival merkt man, wie stark man wirklich ist.

Alles wird schneller. Früher gab es in Deutschland genau alle zwei Jahre eine Nazidebatte. Jetzt wechseln sich Nazidebatten, Rassismusdebatten und Sexismusdebatten ab, und zwar genau alle sechs Wochen. Zum Thema Rassismus erzählte mir ein Kollege, dass er den Film von Wong Kar Wai deshalb nicht verstanden habe, weil er chinesische Schauspieler so schwer auseinanderhalten kann. Die würden in seinen Augen zu ähnlich aussehen. Das Gleiche habe ich aber auch schon in Afrika gehört. In Afrika haben mir schwarze Bekannte erzählt, dass sie bei ihrem ersten Besuch in Europa die Weißen in den ersten Tagen auch nicht auseinanderhalten konnten. Die sahen alle einfach nur weiß aus. Man ist deshalb kein Rassist, man darf es ruhig zugeben. Den Asiaten geht es auch so. Ein Kritiker sagte, dass bei einem Empfang Wong Kar Wai zu ihm gekommen sei, der habe ihn umarmt und geknuddelt und „hey, old friend, what’s up“ zu ihm gesagt, obwohl er davor nie im Leben auch nur ein Wort mit Wong Kar Wai gewechselt hatte. Dann habe Wong Kar Wai ihm über den Kopf gestreichelt und habe gefragt: „Was hast du mit deinen schönen langen Haaren gemacht?“ Da hätte er zu gerne gewusst, ob er jetzt mit Peter Sloterdijk verwechselt wird oder mit Richard David Precht.

Ich bin umgekippt, einfach so, und habe danach 14 Stunden lang geschlafen. Dabei mache ich doch fast nichts. Jetzt ist der Moment, an dem sich bei der Berlinale die Starken von den Schwachen scheiden. Ich sage nur mal: Jörg Thadeusz. Dieser Kollege moderiert täglich ungefähr 16 Stunden lang und ist immer gut vorbereitet, dazu schreibt er parallel Kolumnen für mindestens zwei Zeitungen, verfasst in der Kaffeepause unterhaltsame Romane, jetzt habe ich gehört, dass er auch Marathon trainiert, offenbar zwischen 2 und 3 Uhr morgens. Diese Ballung von Tätigkeiten würde bei mir innerhalb von drei Tagen zum Kreislaufkollaps führen. Es gibt starke Menschen, und es gibt schwache Menschen. Bei der Berlinale merkst du, im letzten Drittel, zu welcher Sorte du gehörst.

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