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Martenstein kommentiert: "Wer Uraufführungen will, soll doch nach Cannes gehen"

Neue Filme werden überbewertet, findet unser Kolumnist Harald Martenstein. Gut so, denn auf der Berlinale gibt es sowieso kaum noch Weltpremieren. Ob der Goldene Bär jetzt an "Casablanca" geht?

Wenn ein Kollege in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt, dass die Berlinale sich in „kontinuierlichem Abstieg“ befinde, ist man als Berliner erst mal wenig beeindruckt. „SZ“-Redakteure sind, Berlin betreffend, oft ein bisschen verbittert. Grund: Sie müssen in München leben, das ist so eine kleine, eitle Stadt in Bayern. Aber der Hinweis, dass bei der Berlinale im Wettbewerb seit einiger Zeit nicht nur Premieren gezeigt werden, sondern auch gut abgehangene Gebrauchtware, trifft leider zu.

Der Eröffnungsfilm „The Grandmaster“ hat sogar schon einen Lexikoneintrag bei Wikipedia, der ist quasi Filmgeschichte. „Promised Land“ von Gus van Sant lief seit Dezember in den USA in den Kinos, auch in Kanada. Das war eher ein Flop. In der „New York Times“ stehen sehr unschöne Dinge über „Promised Land“. Die Website „Rotten Tomatoes“ hat 105 Kritiken ausgewertet, Durchschnittsnote 5,8 von 10. „Side Effects“, von Steven Soderbergh, findet immerhin der „Arizona Star“ recht „unterhaltsam“, vor allem den Anfang, am Ende laufe das Drehbuch leider auf eine „ziemlich akrobatische Trickserei“ hinaus. „Before Midnight“ lief beim Festival in Sundance, der britische „Guardian“ schreibt, dass der Film irgendwie gezwungen wirke, ein paar schöne Momente besitze, aber dass andere Regisseure das Gleiche viel besser hingekriegt hätten.

Sobald man das Internet anwirft, wird man mit Verrissen oder Halbverrissen von Berlinale-Wettbewerbsfilmen zugeballert, aus allen Ecken der Erde. Alle Menschen kennen offenbar diese Filme, von Feuerland bis Santa Fe, nur der Berliner nicht. Vielleicht hat man in Berlin Angst, dass neue Filme fürs Festival nicht rechtzeitig fertig werden, das Flughafen-Trauma. Und? Haben wir nicht trotzdem eine total geile Stadt? Ist Dieter Kosslick nicht trotzdem ein super Typ? Neue Filme werden überbewertet. „Casablanca“ ist auch kein neuer Film, ich kann mir den trotzdem immer wieder anschauen. Warum bringen sie „Casablanca“ in der Retrospektive statt im Wettbewerb? Als Stars könnten sie die Witwe von Humphrey Bogart und die Tochter von Ingrid Bergman einladen, und dann möchte ich mal die Jury sehen, die „Casablanca“ nicht den Goldenen Bären gibt. Wer Uraufführungen haben will, soll gefälligst nach Cannes fahren, in dieses Nest.

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