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Noch angezogen: Marteria am Samstagabend in Berlin.

© dpa

Marteria in der Max-Schmeling-Halle: Harmonie als Druck in die Magengrube

German Hip-Hop, very good: In Berlin zeigt Marteria, wie man als Popstar im besten Sinn funktioniert: mit einem Werk, dass für viele anschlussfähig ist, ohne dadurch beliebig zu werden.

Später, nach dem Konzert in der Max-Schmeling-Halle, postet Marteria ein Foto bei Facebook. Es zeigt ihn von der Seite, wie er in die Luft springt, mit nacktem Oberkörper, und es zeigt, wie auch im Publikum einige anfangen, sich auszuziehen. Eine Momentaufnahme. Die Gesichter der Fans sind überscharf gezeichnet, T-Shirts und Jacken fliegen in der Luft herum wie bunte Vögel, in Versalien bedankt sich Marteria für den „grandiosen Abschluss“ seiner Tour.

Zwölf Stunden später hat das Bild gute 10 000 Likes eingesammelt und ist über 200 Mal geteilt worden. Der gebürtige Rostocker, 31 Jahre alt, ist nicht nur einer von Deutschlands besten Rappern. Auf ihn können sich alle einigen, und dennoch wirkt sein Werk nicht beliebig. Ein Popstar im besten Sinne. Marteria, mit bürgerlichem Namen Marten Laciny, harmoniert mit Berlin, der Stadt, in der er lebt. Das sieht man schon vor dem Auftritt. Die Stimmung auf dem großen Vorplatz ist ausgelassen. Junge Menschen trinken aus kleinen und sehr großen Flaschen Alkohol, andere üben sich in Ballsportarten. Zwei Mädchen sind ungehalten, weil Instagram nicht funktioniert. „Wo soll ich jetzt die Bilder hochladen“, fragt die eine. Lustlose Schwarzmarkthändler betreiben ihre Geschäfte. Irgendjemand kifft. Und dann sind da noch die normalen Mauerpark-Besucher. Eltern, die ihre Kinder auf silbernen Laufrädern heim Richtung Gleimkiez schieben. Touristen, die fragen, was da denn los sei. German Hip-Hop, very good, aber leider ausverkauft.

Kurz: ein Wirklichkeit gewordenes Wimmelbild, und auch ein Sommerabend, noch nicht meteorologisch, aber emotional. Berlin leuchtet.

„Oh mein Gott, dieser Himmel“, singt Marteria gleich zu Anfang. „OMG!“ heißt der Song, einer der besten seines neuen Albums „Zum Glück in die Zukunft II“. Der Rapper hat eine Band dabei, außerdem drei Backgroundsängerinnen, der Sound drückt in die Magengrube, und das Gefühl bleibt in den nächsten eineinhalb Stunden erhalten.

Abwechslungsreich inszeniert sich der Protagonist des Abends: Einige Songs lang wird er zu seinem Alter Ego Marsimoto, diesem dauerbreit wirkenden Schlumpf-Alien. Im Ganzkörper-Gummianzug rappt er sich mit Heliumstimme durch grünen Nebel. Der Schreiber dieser Zeilen ist froh, als dieses Kapitel endet, doch die Fans jubeln. Bei „Die Nacht ist mit mir“ steht plötzlich Campino auf der Bühne, und auch Miss Platnum, die als Marterias Duett-Partnerin bei „Lila Wolken“ größere Bekanntheit erlangte, bekommt ihren Solopart: eine kleine Frau mit Riesenstimme, die über ihre „99 Probleme“ berichtet.

„Keiner macht mehr Malle, alle fahr’n nach Schweden“.

Marterias Referenz-Nummer kommt früh. Nach kaum 20 Minuten stimmen die Backgroundsängerinnen den Chor von „Kids (2 Finger an den Kopf)“ an, in dessen Text der Sänger mit leichtem Bedauern neue Verhaltensmuster seiner Generation beschreibt. Zeilen wie „Silbernes Besteck, Goldener Retriever“ und „Keiner macht mehr Malle, alle fahr’n nach Schweden“ werden vom Publikum begeistert mitgesungen. Klar, denn die funktionieren auf drei Ebenen gleichzeitig. Als Tatsachenschilderung, aber auch als Verklärung der eigenen Vergangenheit – und beim jugendlichen Teil des Publikums als clever getextete Fiction.

Für das Ende hebt sich Marteria die Pyrotechnik auf. Bei Konzerten dieser Größenordnung scheint sie mittlerweile Pflicht zu sein, bei Marteria ergibt sie durchaus Sinn. „Feuer“ heißt der Song, den die Flammenwerfer am vorderen Bühnenrand begleiten, „Gib mir Schub, wenn ich starte, hinterlasse ich Krater“, rappt Marteria. Man spürt die Hitze bis auf die Ränge und fragt sich, wie Marteria das direkt neben den Flammen aushält in seiner wunderlich gemusterten Jacke. Klar, dass er kurz darauf den Oberkörper freimacht.

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