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Kultur: Marthaler macht’s!

Peter von Becker hat doch noch den Triumph des Theatertreffens erlebt Über das 40. Theatertreffen ist am Sonntag im Berliner Festspielhaus noch einmal heftig gestritten worden: unter Juroren, Laudatoren, Oratoren.

Peter von Becker hat doch noch den Triumph des Theatertreffens erlebt

Über das 40. Theatertreffen ist am Sonntag im Berliner Festspielhaus noch einmal heftig gestritten worden: unter Juroren, Laudatoren, Oratoren. Wobei eine etwas gallige Gereiztheit sich bei 10 nominierten Aufführungen überwiegend nur an zwei enttäuschten Hoffnungen festmachte („Emilia Galotti“ aus Wien und „Richard III.“ aus Zürich) sowie an einem schwer diskutablen Ausreißer (die „Orestie“Vermatschung aus München).

Tatsächlich geht es gar nicht um die rituell gewordene Schelte einer Jury, die bloß auswählen kann, was die Theater auch anbieten. Und kein Spiegel ist verantwortlich für sein Bild. Was in Wahrheit – und mit Ausnahmen wie den Volksbühnen-Inszenierungen Frank Castorfs oder den beiden „Noras“ vom Hamburger Thalia Theater und der Berliner Schaubühne – vermisst und ersehnt wird, das ist in den letzten, durchaus weltverändernden Jahren eine besondere Wachheit und Geistesgegenwärtigkeit des deutschsprachigen Theaters. Eine spielerische Intelligenz, die bestürzend, verwundernd, erhellend eingreift, weil sie ein Stück Welt begreift und nicht nur theatertheaternd den eigenen Betrieb mit der Realität außerhalb der eigenen Probenhöhle verwechselt.

Doch dann geschieht ein Wunder. Das Wunder heißt „Groundings“, und bei diesem wochenendlichen Theatertreffen-Finale aus Zürich mag mancher vorher gedacht haben: Ach Gott, schon wieder ein Marthaler als notorische Theatertrance – in jener ironischen Schwermut, die auch schon etwas altmeisterlich Vertrautes und womöglich ein bisschen Verstaubtes hat. Die Vorausbotschaften zu dieser erst im Februar herausgekommenen Inszenierung waren: nur freundlich. Was einer himmelschreienden Untertreibung gleicht. Denn Christoph Marthaler ist mit seinem Schauspieler-Musiker-Ensemble, mit der Bühnenbildnerin Anna Viebrock und der Co-Autorin Stefanie Carp nach ein paar kleineren Würfen wieder ein Geniestreich gelungen. Erinnernd an seine „Stunde Null“.

„Groundings“ (Untertitel: „eine Hoffnungsvariante“) erzählt von den Grunddingen der Globalisierung und vom Urknall der alten, neuen Ökonomien. Die Schweiz als multinationaler Zwergriese wird darin mit dem Höhenflug und Absturz der Swissair zum komischen Menetekel. Mit satirischem Irrwitz und szenischem Scharfsinn geistert die Marthaler AG durch Vorstandssitzungen und Managerseminare, lässt Börsenfantasien spuken und leuchtet in die Abgründe einer zunehmend arbeitsmenschenleeren Aufsichtsräterepublik – um die Humankapitalfreiheit mit den Entwicklungs- und Abwicklungsfragen des deutschen & schweizerischen Stadttheaters zu verknüpfen. Worauf man nun alle Finanz- und Kulturpolitiker, alle Wirtschaftsvertreter und Aktienbesitzer stracks zu den „Groundings“ schicken möchte: zur inspirierenden Grundanlagenberatung.

Lange gab es auf einer Bühne nicht mehr eine so kunstvolle, realitätsmächtige Intervention in die Zeitgeschichte. Wenn Theater so trifft, muss man auch ums Theatertreffen nicht bangen.

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