zum Hauptinhalt
14 Lithographien namens “Floß der Medusa” von Martin Kippenberger, zu sehen in der Galerie Nagel Draxler.

© Simon Vogel

Martin Kippenberger in der Galerie Nagel Draxler: Bloß keine Langeweile

Von wegen Sommerloch: Die Galerie Nagel Draxler zeigt Arbeiten von Martin Kippenberger aus verschiedenen Privatsammlungen.

„Langeweile hat er nicht ertragen, das war Stillstand, Tod. Deshalb hat er den Sonntag so gefürchtet“, schreibt Susanne Kippenberger in ihrem Buch über ihren Bruder Martin. Was sind die Sommerferien anderes als eine schier endlose Abfolge von Sonntagen. Von Kippenberger ist außerdem bekannt, dass er ein großer Fernsehgucker war. Nirgendwo ist die Sommerlangeweile bekanntlich größer als im Fernsehen – sie heißt dort Sommerloch.

„Gib mir das Sommerloch“, betitelte Kippenberger 1986 eine Ausstellung bei Erhard Klein in Bonn. Und während anno 2017 andere Berliner Galerien sich der Sommerlangeweile mit Gruppenschauen hingeben, ergeben oder gleich ganz dichtmachen, zeigt die Galerie Nagel Draxler im Jahr 20 nach Martin Kippenbergers Tod: „Gib mir das Sommerloch“. Toll, ein originalgetreues Reenactment der Bonner Ausstellung!? Denn auch wenn der Fernsehgucker bei Reenactment zuallererst an das „Histotainment“-TV à la Guido Knopp denkt – der Kunstgucker weiß, das Prinzip hat längst auch den Ausstellungsbetrieb erreicht.

Die Schau ist angereichert mit Fotografien und Ephemera

2013 hat die Fondazione Prada Harald Szeemanns berühmte Berner Ausstellung von 1969, „When Attitudes Become Form“, in Venedig wiederaufgeführt. Aber Nagel Draxler ist nicht Prada. Der Titel war einfach zu gut. „Gib mir das Sommerloch“ ist eine reichlich eklektische Schau mit Kippenberger-Arbeiten, die gerade – aus „vier, fünf Privatsammlungen“, so Christian Nagel, darunter die des Galeristen – verfügbar waren. Nicht mehr und nicht weniger.

Vor allem: nicht weniger. Ein Kippy-Parforceritt rund um die Herzstücke „Hinten ist noch ein Loch frei“ (1987, Metall lackiert, Holz, C-Print auf Forex, 170,5 x 124 x 85 cm, 1,4 Mio. Euro) aus der berühmten Kölner „Peter“-Ausstellung bei Max Hetzler und „Leiden Warum, Leiden Wozu“ (1982, Öl auf Leinwand, 119,4 x 99,1 cm, 1 Mio. Euro). Die Schau ist angereichert mit Fotografien und Ephemera, wie dem SZ-Magazin No. 15 von 11. April 1997 unter dem Titel „Zum Totlachen. In Memoriam Martin Kippenberger“ oder Plakaten wie dem zu „Kippenbergers Büro“ am Berliner Segitzdamm: „Nutzen Sie die ganze Palette unserer Dienstleistungen: Vermittlung. Beratung. Bilder.“

Graffiti-Strichmenschen beim coitus a tergo

1400 DM Miete hat Kippenberger damals für 280 Quadratmeter bezahlt: 1978 muss ein so kostspieliges Atelier in Kreuzberg beinahe so schwer zu finden gewesen sein wie heute ein so günstiges. Das Geld, das Kippenberger nie hatte, gab er mit vollen Händen aus. Seine Hotelpapier-Zeichnungen scheinen das zu belegen. Zu sehen sind „Copacabana Palace“ und „Majestic“ (29,7 x 21 cm, 60 000 Euro). Seine Schwester bezweifelt, dass er in all diesen Hotels tatsächlich geschlafen hat. Andere vermuten, Kippenberger habe seine Bilder nur widerwillig und ganz schnell gemalt, um ihnen schöne Titel geben zu können. In dieser Schau etwa: „N.S.F.T. (Nudeln sind für tutti)“ von 1981 (150 000 Euro). Das Bild zeigt zwei Graffiti-Strichmenschen beim coitus a tergo.

Um die Ecke, auch mit eher neoexpressionistisch grobem Pinselstrich – aber sehr sorgfältig mit Versalien beschriftet: „Pommerland. Ich will meine Mutta wiedahabn“ (150 000 Euro). Hinter dem lässigen Kalauer der tiefe Ernst. Auch, nein nicht auch: das war Kippenberger. Sein gar nicht so langweiliges „Sommerloch“ währt nur noch eine Woche, bis zum Berliner Schulbeginn.

Galerie Nagel Draxler, Weydingerstraße 2/4, bis 2. 9.; Di–Fr 10–19 Uhr, Sa 11–18 Uhr.

Jens Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false