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Die Gedanken des Martin Walser: Der neue Sammelband "Unser Auschwitz" ist auch eine Streitschrift gegen seine Kritiker, die ihm wiederholt Antisemitismus unterstellten.

© dpa

Martin Walser: "Wir können nichts mehr gutmachen, nur weniger falsch"

"Unser Ausschwitz" heißt der neue Sammelband von Martin Walser. In ihm lässt der Chronist Jahrzehnte seines Denkens aufmarschieren – und kapituliert am Ende doch vor der Geschichte.

Martin Walser hat mit „Unser Auschwitz“ eine Anthologie vorgelegt, die zahlreiche Romanauszüge, Reden und Essays des Autors enthält. Und seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld dokumentiert. Überlingen (dpa) - Die Begriffe „Martin Walser“ und „Auschwitz“ kann man wohl nicht denken, ohne dass einem zugleich die umstrittene Rede des Schriftstellers in der Frankfurter Paulskirche in den Sinn kommt.

Auschwitz ist keine Pflichtübung, kein Lippengebet

1998 hatte Walser bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vor einer „Instrumentalisierung des Holocaust“ gewarnt und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Nun hat der Autor unter dem Titel „Unser Auschwitz“ einen Sammelband mit Romanauszügen, Reden und Essays herausgebracht, der seine lebenslange Beschäftigung mit diesem Thema nachzeichnen soll. „Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede“, hatte Walser seine Worte in der Paulskirche damals überschrieben. Sie sind auch in seinem neuen Werk abgedruckt - zwischen einer Laudatio auf den Romanisten und Politiker Victor Klemperer und einem Auszug des Romans „Ein springender Brunnen“ von 1998. „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung“, sagte Walser in seiner Rede. „Was durch solche Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität Lippengebet.“

Gut gereimter Antisemitismus?

Für seine Worte erntete der Schriftsteller heftige Kritik - es entbrannte eine monatelange Diskussion über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland. Walser selbst musste sich immer wieder mit Antisemitismusvorwürfen auseinandersetzen - zuletzt 2012 durch ein Interview des jüdischen Publizisten Michel Friedman. „Früher hat der Spießbürger seinen Rassismus und Antisemitismus in verrauchten Hinterzimmern ausgetobt. Mittlerweile macht er das beim Champagner-Empfang oder verfasst - wie Martin Walser und Günter Grass - Pamphlete in Rede- oder Gedichtform“, sagte Friedman damals dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Walser wies die Vorwürfe empört zurück.

Mit lesefaulen Kritikern geplagt

In der nun erschienenen Anthologie zeichnet Walser mithilfe zahlreicher Auszüge aus eigenen Werken seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld nach. Es gehe dabei nicht darum, die Auseinandersetzungen und „Schlachten“ von damals im „philologischen Sandkasten nochmals nachzustellen“, schreibt der Herausgeber Andreas Meier, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wuppertal, in seinem Nachwort. „Vielmehr geht es darum, den zum Teil absurden und von hartnäckiger Lektüreabstinenz zeugenden Vorwürfen das Werk Walsers zumindest in repräsentativen Auszügen entgegenzuhalten.“ Ein gutes Beispiel dafür: Der letzte Beitrag in der Anthologie, Walsers erst kürzlich erschienenes Werk „Shmekendike Blumen“ (2014), in dem der Autor sich und den Leser in die Welt der modernen jiddischen Literatur mitnimmt. Dort schreibt er: Ihm sei im Laufe der Jahrzehnte vom Auschwitz-Prozess bis heute immer deutlicher geworden, dass „wir, die Deutschen“, die Schuldner der Juden blieben. „Bedingungslos. Also absolut. Ohne das Hin und Her von Meinungen jeder Art. Wir können nichts mehr gutmachen. Nur versuchen, weniger falsch zu machen.“

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