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Szene aus "Maß für Maß".

© Matthias Horn/Schauspiel Dresden

"Maß für Maß" am Staatsschauspiel Dresden: Lechts und rinks der Elbe

Folie für die Gegenwart: Das Staatsschauspiel Dresden eröffnet seine Saison mit Shakespeares „Maß für Maß“ - und bringt ein Pegida-Häuflein auf die Bühne.

Dresden ist nicht Pegida. Will’s nicht sein. An der Semperoper wehen Fahnen und Transparente, die für Weltoffenheit werben, mit der Botschaft: „Türen auf, Herzen auf, Augen auf!“ Auch auf den Straßen, in den Museen rund um die wiedererstandene Residenz und die Frauenkirche: Scharen von Spätsommerreisenden, viele Ausländer – vom Einbruch der Tourismuszahlen in der ersten Jahreshälfte, der die sächsische Kulturmetropole nach dem Pegida-Winter des allgemeinen Missvergnügens kürzlich so erschreckt hat, ist auf den ersten Blick nichts (mehr) zu spüren.

Dresden will nicht Pegida. Das ist auch das unausgesprochene Motto eines von den Staatlichen Museen kurzfristig initiierten, die bildende Künste, Theater und Musik bis Ende September vereinenden internationalen „Dresdner Kunstfests“. Und da will das Staatsschauspiel zur Saisoneröffnung nicht abseits stehen. Tilman Köhler, ein junger Regisseur, der in der vergangenen Spielzeit bereits mit einem intensiven, auf Bilder, aber auch auf den Text setzenden „Macbeth“ am Deutschen Theater Berlin (mit Ulrich Matthes in der Titelrolle) auf sich aufmerksam machte, hat jetzt am Schauspielhaus erneut Shakespeare inszeniert: „Maß für Maß“.

Zwischen den Zeiten schwebendes Spiel

Es ist Shakespeares mit raffiniertestes, bis an die Grenze des Zynismus getriebenes Drama um eine wechselseitig manipulierte Stadt. Ein Macht- und Menschen-, sprich Gesellschaftsexperiment. Trotzdem warnt Dresdens kluger Intendant Wilfried Schulz (der nächste Saison nach Düsseldorf geht) in einem Publikumsgespräch zusammen mit der Produktionsdramaturgin Julia Weinreich noch unmittelbar vor der Premiere: „Die Aufführung nimmt das Stück auch als Folie für unsere Gegenwart. Aber es ist natürlich kein unmittelbarer Kommentar zu Pegida und Fremdenfeindlichkeit; das würde ja die Intelligenz der Künstler und des Publikums unterfordern.“

Diese Losung scheint bis zur Pause fast ganz zu gelten. In einem riesig schwarzen, nach hinten keilförmig zulaufenden Raum (Bühne Karoly Risz), den zunächst nur ein fahles Neondreieck in der Höhe erleuchtet, entfaltet sich ein zwischen den Zeiten schwebendes Spiel. Der regierende Herzog Vincentio, den Philipp Lux als eleganten Melancholiker anlegt, zieht sich in Shakespeares Dramaturgie der Plötzlichkeit aus allen Staatsgeschäften zurück. Seine jähe Auszeit verkündet er am Mikrofon, doch wenn er seine Mönchskutte überwirft, um nun inkognito als fremder Klosterbruder das Treiben in der Stadt zu beobachten und am Ende doch wieder zu lenken, ist das eine Geste, die das märchenhafte Motiv des unerkannten Herrschers (Harun al Raschid) mit modernem Burn-out oder experimenteller Täuschung und Spionage so unschwer wie leise vereint.

Die allgemeine Verwirrung

Auch Angelo, der nun mit absoluter Macht belehnte Stellvertreter des Herzogs, wirkt zunächst sanft und redlich blass. Matthias Reichwald spielt diesen Politiker, den der Machtrausch als moralischer Kater befällt, nicht als Ideologen, eher nur als vernünftigen Saubermann. Das Staatswesen ist verlottert, irgendwelche Pöbler grölen „Lügenfresse“, Suff und Prostitution ersetzen Law and Order – womöglich benützt der abwesende Herzog seinen Vize bloß als unpopulären Aufräumer im eigenen Laden. Reichwald als Angelo ist so ein Sachwalter, kein triumphierender Tugendterrorist, wenn er den jungen Lord Claudio, der seine Freundin schwanger gemacht hat, wegen vorehelicher Unzucht zum Tode verurteilt. Das sei nun mal das (lange vergessene) Gesetz, und das Recht dürfe – in Thomas Braschs Shakespeare-Übersetzung – eben nicht nur eine „Vogelscheuche“ sein. Es strikt anzuwenden, sei „völlig alternativlos“.

Das ist dann natürlich nicht mehr Shakesbrasch. Es klingt etwas aufgesetzt, doch hält die Regie alle zeitgenössischen Anspielungen erstmal interessant auf Halbdistanz. Populismen und aktuelle Einwürfe werden oft blitzschnell gewendet, und die Aufführung zeigt, dass Rechtes und Linkes, Aufklärung und Ressentiment in allen gesellschaftlichen Schichten sich abwechseln, mischen – und der Jandl-Spruch von „lechts und rinks“ immer wieder trifft. Köhler hat dafür mit dem Bühnenbildner Risz und der Kostümmacherin Susanne Uhl einen starken Ausdruck gefunden. Denn immer wieder verheddern sich Protagonisten und Nebendarsteller (Politiker und Volk) in einem als Garn der Erzählung ausgerollten Wust von gelb-schwarzen Klebebändern. Was wie Absperrungsmaterial aussieht, wird in immer neuen Formationen zu einem Riesenknäuel, unter, hinter und aus dem heraus sich Gruppen und Paare bilden – ähnlich wie beim Hexen- und Hofstaats-Körpertheater in Köhlers Berliner „Macbeth“. Ein starkes, originelles Bild: der allgemeinen Verwirrung.

Sieg der Kunst über die Politik

Umso unverständlicher wirkt die erste Szene nach der ohnehin überflüssigen Pause. Plötzlich scheint alles klar wie braune Kloßbrühe: Die Spieler mimen hinter einem Antiflüchtlings-Transparent mit Tröten, Gebrüll und Stinkefingern ein Pegida-Häuflein von heute. Das Gejohle aber mit Rufen wie „Volksverräter!“, „Raus aus der Nato!“, „Kriminelle Asylanten raus!“ und „Merkel muss weg!“ läuft bei einem bildungsbürgerlichen Staatstheater-Publikum naturgemäß ins Leere. Wirkt gratismütig, dünn und rangeschmissen (aber: woran?). Man will die Bösen und Dummen als Spießer ausstellen und stellt sich nur selber, sächselnd und nachäffend, bloß. Nicht die Welt, nicht einmal Dresden, nur das Theater ist bei dieser Plumpheit aus den Fugen.

Danach hat es das wirkliche Theater schwer, wieder ein- und aufzusteigen. Auf die Einfachgesinnung soll nun wieder das Spiel mit der Doppelmoral folgen. Isabella, die Schwester des wegen angeblicher Unzucht zum Tode verurteilten Claudio, bittet bei Angelo mehrmals um Gnade. Der aber hat sich von Mal zu Mal mehr in Isabella verknallt. Trotz gelegentlichem Geknete am eigenen Hosenstall hält Matthias Reichwald auch dieses Schwanken zwischen Reinheit und Geilheit lange in einer spannenden Schwebe. Spricht er von „dem Mädchen“, dann meint das nicht Kohl-Merkel, es hat vielmehr etwas von der Verzauberung eines martialischen Kleist-Ritters etwa durch das wundersame „Käthchenmädchen“ von Heilbronn. Doch statt seine eigene Nacktheit als eigene moralische Entblößung zu spielen (Angelo will von Isabella Sex, wenn er Claudio begnadigt), zieht er sich real nackt aus und macht sich zum Hampelmann. Dem hält nur die überragend präsente Ina Piontek als Isabella stand. In jeder Hinsicht. Bei ihr siegen Kunst und Liebe über Politik und Triebe.

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