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Kultur: Massentötung von Rindern: Die große Keule

Fritz Arlet ist in den vergangenen Tagen wie ein Schatten seiner selbst umhergelaufen. Durchgrübelte Tage und schlaflose Nächte liegen hinter ihm.

Fritz Arlet ist in den vergangenen Tagen wie ein Schatten seiner selbst umhergelaufen. Durchgrübelte Tage und schlaflose Nächte liegen hinter ihm. Lange Zeit sah er im Weg zum Konkursrichter die einzige Perspektive, die ihm noch bleibt. Erst spät ging der Ruck durch den 57-Jährigen: "Wir machen weiter", sagt er jetzt, während er zusieht, wie am Samstagnachmittag gegen 15 Uhr die ersten seiner Tiere zum Abtransport auf die Lastwagen geführt werden. Arlet ist Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Produktions- und Vertriebsgesellschaft (LPVG) im sachsen-anhaltinischen Mücheln, Schauplatz der ersten Massenschlachtung eines Tierbestandes nach Auftreten eines BSE-Falles in Deutschland.

"Wir haben ja noch die Schweinezucht und den Pflanzenbau", tröstet er sich. Nur Rinder werde es auf seinem Hof nicht mehr geben, jedenfalls so lange nicht, wie es keine verlässlichen BSE-Tests an lebenden Tieren gebe: "Was wir jetzt hier gerade durchmachen, das wollen wir nicht noch einmal durchleben."

Vor seinem Hof machen rund 1000 Bauern ihrer Empörung Luft. Die Aussagen auf den Transparenten sind mehr als eindeutig. "Wer hat denn hier den Rinderwahnsinn - die Rinder oder die Politiker?", heißt es da, oder: "Rindermord ist Bauerntod". Mehrere hundert Landwirte aus Sachsen-Anhalt und dem Nachbarland Sachsen sind am Samstag den Aufrufen des Landesbauernverbandes und des Rinderzüchterverbandes von Sachsen-Anhalt gefolgt. Sie haben sich vor der LPVG versammelt, um zu protestieren.

Insgesamt sind nach den mittlerweile 24 bekannt gewordenen BSE-Fällen rund 2000 Rinder in Deutschland geschlachtet worden. Dieses Mal geht es allerdings um die Tötung von mehr als 1000 Tieren auf einen Schlag, weil ein Rind des Bestandes BSE-positiv war.Nächstes Wochenende geht es weiter

Die Bauern sind aufgebracht. Der Geschäftsführer des Landesbauernverbandes von Sachsen-Anhalt, Karl-Friedrich Kaufmann, hatte zugesichert, auf Straßenblockaden zur Be- oder gar Verhinderung der Viehtransporte zu verzichten. Doch dieses Versprechen gilt plötzlich nichts mehr. Mehrere hundert Bauern, teilweise verstärkt durch Traktoren und andere Großfahrzeuge, stellen sich als Menschenkette vor das Tor der LPVG. So wollen sie den Weg für die Viehtransporter blockieren, die das Betriebsgelände ansteuern, um die Tiere ins nahe gelegene Stöbnitz abzutransportieren. "Verräter", schallt es den Transporterfahrern aus der Menge der Bauern entgegen. Die Fahrer sind aus Sicht der Bauern mitschuldig am drohenden Tod der Tiere.

"Wir sind mit dieser Methode im Umgang mit BSE alles andere als einverstanden", sagt der Präsident der Kreisbauernschaft, Adolf Hampel. "Mit der Tötung aller Tiere ist weder der Bauernschaft noch dem Verbraucher in irgendeiner Form geholfen." Es gebe Gesetze, an die sich auch die Bauern halten müssten und halten würden, so Hampel. "Aber wir werden das Recht wahrnehmen, unseren demokratischen Protest gegen diese Gesetze deutlich zu machen."

Zahlreiche Polizisten mussten am Mittag den Viehtransportern den Weg auf das Gelände der LPVG freimachen. Die empörten Bauern versammelten sich anschließend vor den Ställen des Unternehmens, um die Verladung der Tiere zu verhindern. Ein Sprecher des Landratsamtes Merseburg-Querfurt verkündete am Mittag, dass der Abtransport der Tiere zur Tötung auf den Nachmittag verschoben worden sei.

"Liegt das an den Protesten der Bauern?", fragen die zahlreichen angereisten Journalisten. Der Mann zuckt mit den Schultern. Weitere Einzelheiten zu nennen sei er nicht befugt. Klar wird aber, dass bei diesem Tempo nur 70 Rinder am Wochenende weggeschafft werden können. Unter der Woche wird sich wohl nichts tun; erst am nächsten Wochenende soll die Aktion weitergehen.

"Die Tötung eines solch großen Bestandes wegen eines einzigen BSE-Falles ist blanker Aktionismus", wettert derweil draußen vor den Toren der LPVG der Präsident des Landesbauernverbandes von Sachsen-Anhalt, Werner Gutzmer. Es gebe längst wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach die Kohortenschlachtung beim Auftreten eines BSE-Falles ausreiche. In Großbritannien, dem Mutterland von BSE, wird das auch so gehandhabt.

Hymnischen Beifall erntet Gutzmer, als er mit einem einzigen Satz den Protest der Bauern auf den Punkt bringt. "Unsere Rinder sind kein Freiwild für die Politiker, die mehr als zehn Jahre lang ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben", ruft er.

So laut, wie Gutzmer bejubelt wird, wird der Abgesandte von Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) niedergepfiffen. Der Ministerin bleibe angesichts der derzeitigen Regelung auf EU-Ebene gar nichts anderes übrig, als auf der Tötung des Gesamtbestandes zu bestehen, versucht er den Bauern klar zu machen. Die zeigen dafür keinerlei Verständnis. Irgendwann gibt der Ministeriale entnervt auf.

Die Kohortenschlachtung, wie sie auch etwa in der Schweiz beim Auftreten eines BSE-Falles gang und gäbe ist, würde dem Unternehmen in Mücheln Erleichterung bringen. Kohortenschlachtung bedeutet, dass lediglich jene Tiere getötet werden, die mit einem BSE-infizierten Tier in unmittelbarem Kontakt gestanden haben oder die aus dem selben Geburtsjahrgang auf dem Hof stammen. "Das wären bei uns etwa 130 Tiere und nicht die mehr als 1.000 Tiere, die jetzt getötet werden sollen", sagt Fritz Arlet.

Milch für 6000 Mark pro Tag

"Möglicherweise wird die Tötung der Tiere bis zum Montag dauern", hatte der Sprecher des Landratsamtes zunächst gesagt. Rund 400 Rinder, so hatte das Veterinäramt errechnet, könnten die vom Arbeitsamt angeforderten Fachleute an einem Tag töten. Viele dieser Fachleute haben einst auf dem Schlachthof im benachbarten Stöbnitz gearbeitet, bevor dieser stillgelegt wurde. Nur für wenige Tage werden sie jetzt quasi aus der Arbeitslosigkeit reaktiviert.

Den Bauern gelten sie, die einst für Produktion von Gulasch und Filets aus den angelieferten Rindern gesorgt haben, heute ebenso als Verräter wie die Fahrer der Viehtransporter, die am späten Nachmittag mit dem Abtransport der Rinder von dem Hof in Mücheln beginnen.

Die Tiere sollen durch Injektionen getötet werden. Keulen nennt man dies dennoch weiterhin. In den kommenden Tagen werden zahlreiche Container-Transporter über Sachsen-Anhalts Straßen in Richtung Norden fahren. Mücheln liegt im äußersten Süden des Landes, die Tierkörperbeseitigungsanstalt, in der die Kadaver schließlich vernichtet werden sollen, in Genthin, nur wenige Kilometer östlich von Magdeburg.

Wenn es ganz schlimm kommt, muss die LPVG für den Abtransport und die Tötung ihrer 1012 Rinder auch noch selbst bezahlen. Zwar haben Landesregierng und Landkreis bereits Unterstützung für das Unternehmen zugesichert. Doch wie diese Unterstützung aussieht, hat noch niemand klar gesagt.

Aus der Tierseuchenkasse des Landes, einer Versicherung der Tierzuchtbetriebe des Landes, könne das Unternehmen den Marktwert der Tiere erstattet bekommen. Die Kosten für Abtransport und Tötung der Tiere könnten aus der Versicherung jedoch nicht erstattet werden, hieß es aus dem sachsen-anhaltinischen Agrarministerium. Und ob die Ertragsausfälle, etwa aus dem Milchverkauf, erstattungsfähig seien, sei auch noch nicht geprüft. Vor der Bekanntgabe des BSE-Falls hat die LPVG täglich Milch im Wert von 6.000 Mark geliefert.

Eberhard Löblich

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