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Bernd Matthies.

© Mike Wolff

Matthies ringt um Worte: Bahn-Speak und das Grundgesetz

Bernd Matthies mag Mehdorns Anglizismen auch nicht, denkt aber, sie verschwinden von selbst. Sympathisch findet unser Sprachkolumnist eine Gegenbewegung zur Petition, Deutsch im Grundgesetz zu verankern.

Ach, war das wieder eine Freude neulich, als die Bahn in Steglitz ihr neues „Mobility Center“ eröffnete! Zwar fragte praktisch jeder, der davon erfuhr, was ein Mobility Center überhaupt sei, vielleicht was mit Gehhilfen und Rollstühlen? Aber das lässt sich klären, der große Bahnstratege Hartmut Mehdorn hat es schon vor sechs Jahren getan: Man habe im Management gesagt, wenn jemand den Namen kritisieren wolle, müsse er einen besseren nennen: „Bahn-Mobilitätszentrum, da wäre einem die Spucke ausgegangen“, meinte er, „Bahnshop gibt es schon, da kann man Bahn-Souvenirs kaufen.“ Tja: Bahn-Kundenzentrum? Kundenbüro? Informationszentrum? Und warum war das Mehdorn-Management, dessen Entscheidung ja offensichtlich bis heute nachwirkt, so in die Mobility verknallt? Ahnte man damals schon, dass der Konzern einige Jahre später für seine Immobility berühmt werden würde? Interessant ist die Neueröffnung ja vor allem deshalb, weil sowohl Verkehrsminister Ramsauer als auch Bahnchef Grube längst einen feierlichen Eid geschworen haben, das Unternehmen wieder zu Aussagen zurückzuführen, die jeder Inländer verstehen kann. Offenbar haben ihre langen Arme aber noch nicht bis nach Steglitz gereicht.

Doch was bedeutet das nun für uns? Die verbohrte Mehdorn-Bahnsprache mit ihren funkelnden Solitären wie „Service Point“, Rail & Surf“ und „Kiss & Ride“ ist in den letzten Jahren nach Kräften verulkt, kritisiert, attackiert worden, und sie steht immer noch so herum, folgenlos, albern. Nie wird irgendjemand sagen, „ich gehe jetzt mal ins Mobility Center, ein Ticket für den City Night Line kaufen“, und damit ist relativ sicher, dass diese Sprachbrocken eines Tages so folgenlos verschwinden werden wie das viel behöhnte „Thank you for travelling with Deutsche Bahn“, das ja immerhin ein rechtschaffener Versuch war, Kommunikation mit Ausländern aufzunehmen, statt Kommunikation mit Deutschen zu behindern (Mobility Center).

Dennoch gehört natürlich auch dies in den großen, staatstragenden Zusammenhang der aktuellen Petition, die die deutsche Sprache im Grundgesetz verankert sehen will. Ich habe mich hier schon gegen dieses Vorhaben ausgesprochen und weise deshalb nicht ohne Sympathie auf die Gegenpetition hin, die noch etwa zwei Wochen läuft und sich ausdrücklich gegen dieses Projekt engagiert; sie hat das Stimmenziel noch nicht erreicht. Ihr Initiator, der Hamburger Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, hat damit die komplette deutsche Sprachschützergemeinde gegen sich aufgebracht und eine hochinteressante Debatte angestoßen. Ich verhehle nicht, dass mir die differenzierten Argumente der Gegenpetenten schon vom Sound her näher sind als die der Sprachschützer, die sich für ihre Petition mit der "Bild"-Zeitung verbrüdert und damit genau jene deutschtümelnden Ressentiments eingefangen haben, die die Klügeren unter ihnen sonst sorgsam vermeiden.

Das steht alles, wie gesagt, im Internet. Ich möchte dennoch einen Aspekt hervorheben, der in der Debatte am Rand steht, nämlich das plakative Argument: „19 Länder in Europa haben ihre Sprache in ihrer Verfassung verändert – und haben damit kein Problem.“ Die Linguistin Susanne Flach hat diesen auf den ersten Blick eindrucksvollen Hinweis analysiert und kommt zu dem sehr plausiblen Ergebnis, dass die meisten dieser Länder, anders als Deutschland, ein Problem hätten, wenn sie es nicht täten. Denn es handelt sich beispielsweise um mehrsprachige Nationen wie die Schweiz, Belgien oder – etwas anders gelagert – Finnland und Zypern, die ihre Amtsprachen regeln müssen.

Bei den Nachfolgestaaten der UdSSR (Baltikum!), der CSSR und Jugoslawiens ging es darum, die nationale Identität zu stärken, ein Motiv, das man auch den Verfassungsvätern von Polen und Bulgarien unterstellen darf. Aber praktisch kein Land in der 19er-Liste ist in seiner Sprachsituation mit Deutschland vergleichbar, die Liste ist mithin für uns schlicht irrelevant. Bitte: Das ist kein Argument, die deutsche Sprache nicht trotzdem ins Grundgesetz aufzunehmen. Aber niemand, der es will, sollte sich dabei auf das Vorbild anderer Länder berufen.

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