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Bernd Matthies.

© Mike Wolff

Matthies ringt um Worte: Neusprech würgt Debatte ab

In seiner Sprachkolumne "Matthies ringt um Worte" begründet Bernd Matthies, warum "alternativlos" als "Unwort des Jahres" ausnahmsweise passt.

Nicht, dass wir nun dringend auf das „Unwort des Jahres“ gewartet hätten. Der brave Frankfurter Professor Schlosser, von dem außerhalb dieser Aktion wenig zu hören ist, versucht damit meist, Politiker zu kritisieren und ein wenig wohlfeile Gesellschaftskritik loszuwerden. Im letzten Jahr hat er uns mit allen Anzeichen großen Ekels das Wort „betriebsratsverseucht“ vor die Füße geworfen, das weder davor noch danach irgendwo zu hören war und deshalb zu Recht vergessen ist. Das Unwort des Jahres 2011 passt, ausnahmsweise, besser. Denn „alternativlos“ hat zweifellos große Bedeutung im politischen Diskurs dieser Tage, und es ist, immer, eine Lüge.

Die Wahl richtet sich natürlich gegen Angela Merkel und ihre Getreuen, die sich der Welt gern als Sachwalter der Realität zeigen, die angeblich immer nur einen Weg kennt, und zwar den von Angela Merkel unter Druck der Fakten erwählten. Das ist natürlich Unsinn, denn es gibt immer eine Alternative, auch im Fall der Entschuldung Griechenlands, die Experten mit zahlreichen konkurrierenden Vorschlägen heilen wollten. Es reicht im Grunde, den Begriff „alternativlose Entscheidung“ näher anzusehen, um das Prinzip zu begreifen. Dann wenn es keine Alternative gibt, gibt es auch keine Entscheidung. Der Tod ist so ein Fall, denn niemand hat die Möglichkeit, sich auf Dauer gegen ihn zu entscheiden. Aber sonst? Selbstverständlich hätte es auch zum deutschen Einigungsvertrag, dem Musterfall der angeblichen Alternativlosigkeit, mehrere Alternativen gegeben, nur wollte die Mehrheit sie halt nicht ausprobieren.

Der Makel der Unwort-Wahl besteht darin, dass sie nicht gerade blitzaktuell wirkt. Denn die Idee, etwas für politisch alternativlos zu erklären, stammt vermutlich von den Azteken – ganz sicher aber von Margaret Thatcher, die Anfang der 80er Jahre das TINA-Prinzip erfunden hat, kurz für „There Is No Alternative“. Ihre Gegner nannten sie spöttisch „Tina“ und bemängelten, die von ihr ständig behauptete Alternativlosigkeit sei nicht real, sondern nur ein propagandistisches Mittel, um Kritik in der Öffentlichkeit von vornherein zu delegitimieren und eine Diskussion zu unterbinden. Nahezu deckungsgleich argumentiert auch die Schlosser-Jury, die sich damit auch gleich auf der politisch korrekten Seite einfindet, denn das Spottwort vom Tina-Prinzip ist seitdem auf der Seite der Linken heimisch geworden und wird in praktisch allen Fällen gegen mutmaßlich „neoliberale“ Standpunkte ins Feld geführt.

In der Tat werden vor allem Entscheidungen in dieser Richtung als „alternativlos“ begründet. Peer Steinbrück benutzte es vor drei Jahren, um das Rettungspaket für die „notleidenden Banken“ (Unwort 2008) unter die Leute zu bringen, Angela Merkel hat es auf den Afghanistan-Einsatz und die Rettung der HRS-Bank angewendet, und von ihr führt die Spur des Worts zu Ursula von der Leyen („Die Rente mit 67 ist alternativlos“) bis hin zum Rauswurf der Linkspartei aus dem Bundestagsplenum, den Volker Kauder für „alternativlos“ erklärte. Immer gab es natürlich Alternativen, nur hätte man früher eben einfach gesagt, diese oder jene Entscheidung sei richtig oder stehe unter Sachzwang. Oder die ehrliche Variante benutzt: Selbstverständlich gebe es andere Möglichkeiten, nur hätten deren Anhänger leider, leider nicht die Mehrheit. Heute soll die Debatte schlicht per Neusprech abgewürgt werden, und deshalb ist die Entscheidung für das Unwort des Jahres zwar nicht alternativlos, aber richtig.

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