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Bernd Matthies.

© Mike Wolff

Matthies ringt um Worte: Sitt vom Rudelgucken

Es gibt Sprachschützer, die würden es gerne "Fußballkino" nennen. Bernd Matthies findet diese Alternative zu "Public Viewing" nicht unplausibel. "Rudelgucken" hingegen wird klammheimlich wieder verschwinden.

Nun ist wieder überall Fußball, fast überall ist auch „Public Viewing“, und ein paar angewiderte Leute möchten, dass wir dazu „Rudelgucken“ sagen. Ich möchte das nicht. Warum? Der erste Grund ist ein ganz einfacher: Das Wort, das nicht zufällig an Gruppensex erinnert, transportiert anders als der englische Begriff eine dicke Portion Abfälligkeit – ein Rudel ist ein wilder Haufen, dessen Mitglieder den Verstand ausgeschaltet haben. Nun mag es sein, dass diese Konnotation angesichts von reichlich Bier und anderen Stöffchen durchaus zutreffend und selbst den Rudelguckern nicht unangenehm ist. Aber darüber sollten die anderen von draußen nicht richten.

Der andere Grund: Ich mag keine Worte, die mit dem klaren Ziel erfunden werden, per Kampagne im Duden untergebracht zu werden, und das ist eins. Es stammt aus einem Wettbewerb des WDR-Senders „1Live“ von 2008 und ist der Legende zufolge deshalb in den Duden aufgenommen worden, weil irgendwer vom Sender mit dem Chefredakteur befreundet ist. Die Aufnahme widerspricht allen Regeln, die sich der Duden selbst gegeben hat, denn es ist kein Fremdwort, sondern eine einfach zu schreibende Zusammensetzung zweier bekannter Worte, und es kann auch keineswegs davon die Rede sein, dass es „in aller Munde“ sei – das war es nicht nach seiner Erfindung 2008 und das ist es auch heute nicht.

Also wird man eine unseriöse, liebedienerische PR-Aktion vermuten dürfen, von der Duden und WDR gleichermaßen profitiert haben, mehr nicht. Wer mag, erinnere sich noch an den großen Aufwand mit dem Ende der Neunziger das Wort „sitt“ erfunden wurde, um die schreckliche Lücke zu schließen, dass es im Deutschen kein Wort für „nicht mehr durstig“ gibt. Es wurde aufgenommen und klammheimlich wieder gestrichen. So wird es vermutlich auch dem Rudelgucken gehen, und das ist gut so.

Da wir grad dabei sind: „Public Viewing“ ist ein Begriff für öffentliche Aufbahrung von Leichen. Auch. Aber es ist eine von vielen, und es gibt eigentlich keinen Grund dafür, dass sich unsere Bessersprecher nun immer schier beölen, wenn der Begriff benutzt wird. „Public Viewing“ steht im Englischen exakt für all das, was diese beiden Worte bedeuten: das öffentliche Zurschaustellen von irgendetwas. Jeder, der in der Lage ist, auf seinem Computer www.google.com einzugeben, kann sich davon überzeugen: Sehr verbreitet ist Public Viewing beispielsweise in Sternwarten oder auf Besucherterrassen von Flughäfen, ganz ohne dass draußen vor der Tür die Muttersprachler stehen und sich über den falschen Begriff schlapp lachen – was sie angeblich in Deutschland tun.

Meist handelt es sich wohl um Akteneinsicht, es können – speziell im Amerikanischen – natürlich auch präparierte Leichen sein, beispielsweise von verstorbenen Prominenten, die ihren Fans noch einmal gezeigt werden. Aber es gibt überhaupt keinen Anlass für die Behauptung, „Public viewing“ stehe im Englischen nicht für Fußballgucken in der Öffentlichkeit; das deutsche Lehnwort hat eine engere Bedeutungsspanne als das Original, und das scheint mir erträglich. Ja, der Begriff ist sperrig und war mal schwer auszusprechen, bis wir uns dran gewöhnt hatten, aber das ist vorbei. Und der auch nicht unplausible Ersatz „Fußballkino“, ein Vorschlag deutscher Sprachschützer, hat sich nun mal erkennbar nicht durchgesetzt. Dabei sollte es nun bleiben, zumindest für diese Weltmeisterschaft.

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