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Kultur: Maurer mit Pinsel

Leon Tarasewicz bemüht sich erst gar nicht, Gedanken an Barnett Newman zu kaschieren und betitelt Arbeiten wie Ausstellungen schlicht "Rot, Gelb und Blau". Angst vor dem amerikanischen Großmeister und seiner Primärfarben-Inkunabel scheint Tarasewicz ebenso fern wie ein zögerlicher Umgang mit dem Material.

Leon Tarasewicz bemüht sich erst gar nicht, Gedanken an Barnett Newman zu kaschieren und betitelt Arbeiten wie Ausstellungen schlicht "Rot, Gelb und Blau". Angst vor dem amerikanischen Großmeister und seiner Primärfarben-Inkunabel scheint Tarasewicz ebenso fern wie ein zögerlicher Umgang mit dem Material. Der Dreiklang der Grundfarben durchzieht Tarasewiczs jüngere Arbeiten, und gerade in dieser Beschränkung entfaltet er seine Virtuosität.

Tarasewicz verkörpert das, was man einen Vollblut-Maler nennen muss. Wenn der Pole das Bild in den imaginären oder in ganz realen Raum treten lässt, so erscheint dies weder als Kritik an der Malerei noch als deren Dekonstruktion. Die Durchdringung des Raumes sowie das Einbeziehen skulpturaler Elemente beweisen nicht die geringste Skepsis dem Medium gegenüber, ebenso wenig wie sie mit einem beliebigen Crossover kokettieren. Tarasewicz schöpft in jeder Hinsicht aus dem Vollen und erweitert die Malerei im puren Sinne der Malerei.

Malen in Zement

Die Farben sind von reinem und lebendigem Ton, der kraftvolle Duktus wird bisweilen durch beigemischten Zement unterstrichen. Der rauhe Charme der Textur wirkt extrem pointiert, obgleich der Auftrag von geradezu ungestümer Vehemenz scheint. Der Künstler als Maurer, die Kelle als Pinsel bewahren die Bilder denn auch vor der Gefahr einer allzu gefälligen, dekorativen Wirkung, die die farbtrunkene Schönheit birgt. Das expressive Moment wird in seriellen und minimalistischen Formkonzepten gebändigt. Unter den schrundigen Oberflächen tauchen entgrenzte Landschaften auf; archaische Naturstudien, die von den Feldern und der Weite des Dorfes Stacja Walily an der weißrussischen Grenze erzählen, wo Tarasewicz 1957 geboren wurde und wo er bis heute lebt.

So begrüßenswert die Kooperation der Galerien Nordenhake und Springer & Winckler ist, so wünschenswert wäre bei zwei verschiedenen Ausstellungsorten ein etwas breiteres Spektrum; zumal Tarasewiczs Entwicklung von den früheren Streifenbildern zu den heutigen Farbraum-Körpern sehr aufschlussreich ist. Dennoch entsteht nicht zuletzt durch die konkrete Raumbezogenheit der zentralen Installationen ein spannender Einblick in den aktuellen Schaffensprozess des Künstlers, der auf der letzten Venedig-Biennale den polnischen Pavillon mit einem raumfüllenden Bodenrelief in Rot, Gelb und Blau bespielte.

Bei Springer & Winckler stellt der Maler das Tafelbild auf den sprichwörtlichen Sockel. Neun minimalistische, stählerne Postamente tragen neun hölzerne Kisten, in denen die Farbe zu schlummern scheint (10 500 bis 13 000 Mark). An ihrer Oberfläche leuchten abstrakte Kompositionen in sublimen Stufungen der Grundfarben. Die kleinen, fein nuancierten Farbfelder rücken trotz der Draufsicht Elemente von Landschaft und Natur in den Vordergrund. Darunter brodeln ungesehene, noch ungemalte Bilder.

In der Installation bei Nordenhake suchen diese fiktiven Bilder bereits ihren Weg nach außen. Der 40 Kubikmeter große Quader (Preis auf Anfrage) wirkt porös: die Farbmassen quillen aus seinem Inneren hervor und scheinen das Schalholz zu spalten. Auch hier kippt Tarasewicz Bild, Perspektive und Wahrnehmung. Das begehbare Gerüst versetzt den Besucher auf eine Art Hochebene, wo erst in drei Metern Höhe das eigentliche, vertikal angeordnete Bild zu sehen ist. Eine Kommandobrücke, von der aus der Betrachter die eigene Fantasie durch ein Meer von gedämpftem Rot und Blau steuern kann. Während das Bad in der Farbmenge hier mit vier mal vier Metern die Weite und Tiefe auch in der Bilddimension aufgreift, bedient sich Leon Tarasewicz bei den Wandarbeiten dem kleineren Format und dem Prinzip der Serie.

Gruppen von sieben und bis zu vierzig quadratischen Tafeln variieren das Thema mal in reinem Acryl, dann wiederum scheint der durchgefärbte Beton Erdkrusten und Horizonte freizulegen. Die Stimmungen eines Tagesverlaufs (bei Springer & Winckler, 26 000 Mark) wahren in ihrem haptischen Reiz immer eine gewisse Bodenständigkeit. Eine siebenteilige Acrylserie entfaltet einen Farbrausch bei Hochgeschwindigkeit, dessen komplementäres Rot-Grün sich zu psychedelischer Wirkung steigert (bei Nordenhake, 21 000 Mark). Bei all dem driftet Leon Tarasewicz jedoch nie in esoterische Höhen ab. Die Farbe umflort den Betrachter als Elixier des Künstlers; und bei Springer & Winckler schwappt sie auf Wände, Türen und die Wendeltreppe über. Auf den ersten Blick scheint es, als habe Pollock die Leinwand vergessen. Doch die Farbschlacht auf dem raumfüllenden Podest ist nur an der Oberfläche ein tachistisches Zitat. Wie ein Lavastrom drängt das Farbmassiv gewaltig aus den Tiefen des Holzverschlags und erobert unzweifelhaft eigene Ebenen im Raum. Je mehr Tarasewicz sein Material in Kisten und Kuben verpackt, desto mehr geraten die Bilder in Bewegung und schaffen neue physische Qualitäten.

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