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Kultur: Maurizio Pollini spielte Chopins Préludes in der Philharmonie

Auch wenn es keine neue Erkenntnis ist, dass jedes der 24 Préludes op. 28 von Frédéric Chopin eine individuelle Zeichnung besitzt, eine besondere Farbe, ein unverwechselbares musikalisches Innenleben - wie Maurizio Pollini jede dieser Klavier-Miniaturen für sich neu entdeckte, schärfte und jeder ein unverwechselbares Profil verlieh, das machte Eindruck.

Auch wenn es keine neue Erkenntnis ist, dass jedes der 24 Préludes op. 28 von Frédéric Chopin eine individuelle Zeichnung besitzt, eine besondere Farbe, ein unverwechselbares musikalisches Innenleben - wie Maurizio Pollini jede dieser Klavier-Miniaturen für sich neu entdeckte, schärfte und jeder ein unverwechselbares Profil verlieh, das machte Eindruck. Zumal er den gesamten Zyklus wie aus einem Atemzug gestaltete. Nichts wirkt dabei, wie so oft in schwachen Chopin-Interpretationen, lyrisch aufgeweicht, larmoyant angelegt oder gleitet in sentimentale Trivialität ab. Pollini, der Denker, der Analytiker am Klavier, gibt seinem Chopin eine oft sehr moderne klangliche Form - auch wenn mancher I-Punkt verrutschte, spieltechnisch nicht alles ins Schwarze traf, die Spontaneität der Perfektion mitunter das Nachsehen gab. Dabei legte er zum Beispiel das trauermarschartige c-Moll-Prélude eher diskret als auftrumpfend dramatisch an. Auch verdeutlichte er nachhaltig, wie wenig zutreffend in Wirklichkeit die von George Sand überlieferte Bezeichnung "Regentropfenprélude" für die Numero 15 in Des-Dur ist. Auch da wirkte seine Akzententuierung des populären Stückes nie forciert. Es gewann mozartische Züge.

Pollini nahm in seinem Chopin-Abend in der bis zum letzten Platz ausverkauften Philharmonie auch dem Scherzo Nr. 1 h-Moll op. 20 sowie den Nocturnes cis-Moll und Des-Dur op. 27 nicht das Intime, das lyrisch Ausschwingende, das Impressionistisch-Atmosphärische. Das Des-Dur-Nocturne wie den still nachsinnenden Mittelteil des Trauermarschs der b-Moll-Sonate spielte er märchenhaft leicht. Doch wußte er bei aller Feinzeichnung und Strukturerhellung auch die großen Momente, die Kulminationspunkte in organischen Steigerung spannungsreich hervorzubringen. Er arbeitete sie in einer fast szenischen Präsenz und Staffelung heraus. Dank seines dramaturgischen Gespürs und seines alles formal zusammenfassenden Griffs zerfiel auch bei der b-Moll-Sonate op. 35 nichts in rhapsodisch unterbelichtete Einzelteile. Ihr war, dank der risikofreudigen, freilich keinesfalls immer schallplattenreifen Virtuosität, aber auch dank der rhetorischen Qualität seines kantablen Anschlags, seiner südländischen Überredungskunst ein bewegender Zug ins Große eigen. Wobei nicht nur der imposant aufgebaute Trauermarsch, sondern auch das geheimnisvoll verschattete Presto Spuren hinterließen.

Eckart Schwinge

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