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Max Beckmann in Berlin: Ein Leben als „mittlerer Bourgeois“

Dem Secessions-Streit in Berlin entging der junge Beckmann dank eines Stipendiums in Florenz. Ein Blick auf die Kunstszene der Hauptstadt zu Beginn seiner Karriere.

Ganz unspektakulär kommt der 20-jährige Max Beckmann im Sommer 1904 nach Berlin, und ist doch gewissermaßen gleich mitten im Kunstgeschehen. „Übrigens, ich war neulich hier im Atelier von Munch“, schreibt er einem Freund aus Weimarer Akademie-Tagen: „Zufällig, ich suchte ein Atelier, sein's war zu vermieten und er war in Norwegen. Feiner Kerl was.“ Fortan lautete seine Adresse „Berlin W. Eisenacherstr. 103, Atelierhaus“. Mit dem Namen des großen Edvard Munch verbindet sich der Skandal des Jahres 1892, als nicht zuletzt auf Betreiben des höchst einflussreichen Künstlers und Kunstpolitikers Anton von Werner eine Ausstellung des Norwegers geschlossen und so der Keim gelegt wurde zur Gründung der „Secession“ sechs Jahre darauf.

Und so zufällig kreuzten sich nun, wenn auch imaginär, die Wege des arrivierten und des heranreifenden Künstlers. Noch hält sich Beckmann an den Freund seiner Studienzeit, schreibt ihm im Jahr darauf: „Ich möchte gerne heute mit Dir zusammen sein mein lieber Kunwald. Am liebsten ein Stück die Belvederealle hinaufgehen vielleicht sogar bis zum Schloß. Und wir könnten uns manches sagen, was wir sind oder werden wollen, was wir hoffen, fürchten, glauben.“

Was wir werden wollen – so tastend unsicher hat man Beckmann wohl nie mehr erlebt. Er liebte es fortan, seine Selbstzweifel hinter schnoddrig-männlichem Gebaren zu verbergen. Aber so, wie Beckmann sich im Berlin der gut anderthalb noch verbleibenden Jahrzehnte des Kaiserreichs zur Künstlerpersönlichkeit entwickelte, so befanden sich Berlin selbst und seine Kunstszene in der Entwicklung.

Mit dem elterlichen Erbe erwarb er ein Haus im Norden Berlins

Zunächst einmal gab sich Beckmann eine gutbürgerliche Existenz. Durch den Tod der Mutter 1906 zum Vollwaisen geworden, erwarb er aus Mitteln des elterlichen Erbes ein Grundstück im waldreichen Norden Berlins. Vor allem heiratete er die künstlerisch hochbegabte Minna Tube, die das künftige Atelierhaus in Hermsdorf entwarf, das dann doch nicht rechtzeitig fertig wurde. Erfolge stellten sich in Berlin rasch ein, darunter ein erster, bedeutender Ankauf. Der berühmte Kunstdiplomat Harry Graf Kessler macht seine Aufwartung und beschreibt den jungen Beckmann in seinem Tagebuch als „sehr sicher“ und „von mittlerer Bourgeoisie“.

Das ist weit mehr als anekdotisch; es lässt vielmehr hervortreten, dass Beckmann zur Berliner Szene eine gewissermaßen aristokratische Distanz hielt. Die Berliner Szene, das war um die Jahrhundertwende und auf lange Zeit die Secession. Deren Gründungsgeschichte mit der Zurückweisung eines Landschaftsgemäldes von Walter Leistikow ist hinlänglich erzählt worden. Was Beckmann antraf, war eine gefestigte Organisation unter der Leitung Max Liebermanns, der als Mitglied der Akademie mit dem Titel eines Professors einerseits zur offiziellen Elite zählte, andererseits auf der Seite der Jüngeren stand.

Ohne die Intransigenz Anton von Werners – der sich allerdings stets für Liebermann eingesetzt hatte – wäre es zum Bruch, der zur Gründung der Secession geführt hatte, nie gekommen. Kurz vor Beckmanns Ankunft waren mit Max Slevogt und Lovis Corinth zwei der bedeutendsten Vertreter der neuen Strömung nach Berlin gezogen, meist unter „deutschem Impressionismus“ rubriziert. Die Reichshauptstadt war nun zugleich das Zentrum der vom Kaiser geschätzten Akademiemalerei alten Stils wie auch das Zentrum der Avantgarde.

Der Streit zwischen Modernisten und Traditionalisten eskaliert

Das Plakat der ersten Ausstellung des unter Mitwirkung Graf Kesslers gegründeten Deutschen Künstlerbundes 1905 zeigt eine bekümmerte Muse, die aus dem Rinnstein Rosen aufhebt: Deutlicher konnte die Anspielung auf des Kaisers Brandrede von 1901 nicht ausfallen, in der Wilhelm II. als Kunst nur gelten lassen wollte, „wenn sie sich erhebt, statt dass sie in den Rinnstein niedersteigt“. Das Künstlerbundsplakat wurde denn auch von der monarchisch gesonnenen Presse als „Anrempelung des Kaiserlichen Herrn“ gerügt. Doch die Moderne ließ sich nicht mehr aufhalten.

Im Jahr zuvor war der Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten über die Auswahl des deutschen Beitrags zur Weltausstellung im amerikanischen St. Louis derart eskaliert, dass ein Kompromiss, den weitsichtige Beamte des Kultusministeriums angestrebt hatten, fürderhin ausgeschlossen blieb. Anton von Werner, ein letztes Mal der allmächtige Vollstrecker des kaiserlichen Kunstgeschmacks, errang einen Pyrrhussieg. Im Ergebnis wurde der liberale Deutsche Künstlerbund gegründet, der allen nicht der Offizialkunst verhafteten Künstlern eine Plattform bot.

Beckmann blieb den um ihn herum wogenden Konflikten gegenüber erstaunlich distanziert, zumal er zunächst den ihm zugesprochenen Florenz-Aufenthalt absolvierte. Die Secession unter ihrem Präsidenten Liebermann und ihrem höchst aktiven „Secretär“ Paul Cassirer bestimmte das Kunstleben. „Eine kleine Anzahl von Künstlern, deren Leistungen ihren Kollegen imponierten“ – schreibt Peter Paret, der mittlerweile 91-jährige frühere Professor in Princeton und beste Kenner dieser Epoche, nebenbei ein Enkel Paul Cassirers –, „hielt die Vereinigung fest in der Hand und lenkte sie im Sinne des Prinzips der absoluten Qualität“. Zumal sie ein eigenes Ausstellungsgebäude an der Kant- Ecke Fasanenstraße – damals noch Bauland – bespielen konnte; die Gelder für den Bau hatten wohlhabende Bankiers und Industrielle wie Carl Fürstenberg und Walther Rathenau vorgestreckt. Die Allianz zwischen jüdischem Großbürgertum und – letztlich gemäßigter – Moderne, die erst aus der Rückschau nach den Verbrechen der Nazi-Zeit ganz ins Bewusstsein getreten ist, wirkte sich aus und bestimmte das Berliner Kulturleben im neuen Jahrhundert.

Die Franzosen kommen nach Berlin

Die Beteiligung ausländischer Künstler an den regelmäßigen Ausstellungen, anfangs ein Streitpunkt in Vorstand und Mitgliedschaft, ging es doch auch um den Platz für eigene Werke und damit die Möglichkeit zu den damals selbstverständlichen Direktverkäufen, wurde zur Selbstverständlichkeit – und das bedeutete zunehmend, die Beteiligung von französischen Künstlern. Lovis Corinth schildert rückblickend, wie die Secession „nun zuerst die teils verpönten, teils unbekannten Künstler des Auslandes dem Publikum vor Augen (stellte): Manet und Monet, die bereits berühmten Pariser; der bis dahin noch unbekannte Cézanne, der in Paris plötzlich noch lebend zur größten Anerkennung ausgegraben worden war, und Gauguin, in dem man nun das Vorbild des früher umstrittenen Norwegers Munch erkannte; ferner einen Holländer, von dem noch nie irgendeiner ein Sterbenswörtchen gehört hatte: van Gogh. Selbst Cassirer hatte ihn noch nicht gekannt.“

Diese Sätze, führt man sie denn fort, beschreiben aufs Genaueste die Sammeltätigkeit der wohlhabenden und zumeist jüdischen Großbürger, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Berlin zum Hauptort der heute klassisch genannten, weitgehend französischen Moderne heranwuchs, und was das Sammeln anbetrifft, weit vor Paris.

Es ging immer auch um Ankäufe; Bismarcks Bonmot, wenn Bankiers zusammenstünden, redeten sie von Kunst, Künstler hingegen vom Geld, behielt und steigerte noch seine Gültigkeit. 1911 kam es zum „Protest deutscher Künstler“, ausgehend vom Ankauf eines Gemäldes von van Gogh, allerdings für die Kunsthalle Bremen. Gerichtet aber war der von 140 Künstlern und Museumsleuten unterzeichnete „Protest“ gegen die Berliner Secession und ihre vermeintliche Dominanz über den Kunstmarkt.

Protest erzeugt Gegenprotest

Protest erzeugt Gegenprotest, und dieser, veröffentlicht als Broschüre unter dem Titel „Deutsche und französische Kunst“, enthielt Beiträge auch der noch kaum bekannten jüngeren Mitglieder verschiedener deutscher Sezessionen, aus Berlin eben Max Beckmann, aus München Wassily Kandinsky und Franz Marc. Beckmann konterte den weiteren Vorwurf, zweitrangige französische Kunst führe zu schlechter Nachahmung seitens deutscher Künstler, bissig mit den Worten: „Irgendein billiges Schema zur Rettung für die Leere ihrer Phantasie brauchen sie ja doch.“

Da aber kündigte sich bereits der nächste Konflikt an, in dem Beckmann eine bedeutende Rolle spielen sollte. 1910 war Beckmann in den Vorstand der Secession gewählt worden, Liebermann und weitere Vertreter der Gründergeneration zogen sich zurück. Die Dresdner „Künstlergemeinschaft Brücke“, die zuvor bereits an einer Grafikausstellung der Secession hatte teilnehmen dürfen, wollte sich an der Jahresausstellung 1910 beteiligen. Doch kam es zum Eklat, als sämtliche Brücke-Mitglieder – der bereits seit 1908 in Berlin lebende Max Pechstein sowie die 1911 nach Berlin folgenden Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff – ausjuriert wurden. Beckmann war daran, gelinde gesagt, nicht unbeteiligt; er, der später einem Expressionismus im weitesten Sinne zugerechnet wurde, hielt von den Jüngeren nichts und stellte lieber mit Corinth bei Cassirer aus.

Die "Neue Secession" läutet eine neue Entwicklung ein

Doch die letzten Jahre vor dem Weltkrieg gehörten, in der bildenden Kunst und beinahe mehr noch in der Literatur, dem Expressionismus. Als Antwort auf die Zurückweisung von 1910 gründete Pechstein die „Neue Secession“ als Sammelbecken für die neue Strömung, es wiederholte sich die Spaltung, die 1898 die ursprüngliche Secession hervorgebracht hatte.

Mit Herwarth Walden und seiner unter dem Namen „Der Sturm“ firmierenden Galerie plus Zeitschrift trat ein Kunstvermittler neuen Typs auf den Plan, der nicht mehr die distinguierte Beziehung zu einem erlesenen Kreis von Sammlern - und dem 1911 vom Kaiser vertriebenen Nationalgalerie-Direktor Hugo von Tschudi – suchte und pflegte, sondern die größtmögliche Wirkung auf die Öffentlichkeit. Der „Erste Deutsche Herbstsalon“ in Waldens Galerie 1913 versammelte ein erstes und letztes Mal vor dem Krieg einen Großteil der europäischen Avantgarde.

Anfang August 1914 spitzte sich die europäische „Juli-Krise“ zum Kriegsausbruch zu. Max Liebermann unterzeichnete den Aufruf der 93 Wissenschaftler und Künstler „An die Kulturwelt“ zur Verteidigung des deutschen Vormarschs, und Beckmann meldete sich ebenso wie „Brücke“-Mitglied Erich Heckel freiwillig als Sanitäter an die Front. Nach Berlin kehrte Beckmann erst zurück, als in Deutschland ein zweites Mal die Lichter ausgingen. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt – da hatte Max Beckmann bereits eine Wohnung gemietet, um im großen Berlin leichter untertauchen zu können.

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