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Maxim-Gorki-Theater: Antú Nunes inszeniert "Rocco und seine Brüder"

Antú Romero Nunes, Nachwuchsregisseur des Jahres, macht Theater - und hofft dabei, etwas Größeres als sein eigenes Leben zu finden. Ab 5. Mai präsentiert er in Berlin seine jüngste Inszenierung.

Claus Peymann sprach unlängst mal wieder ein weises Wort. Junge Theaterschaffende, befand er in einem Interview, kreisten vornehmlich um die „Abhängigkeit von Mami und Papi“ sowie schwerwiegende „Probleme mit dem Pimmel“. Einer der besten Gegenbeweise, die die Branche derzeit zu bieten hat, heißt Antú Romero Nunes. Nicht nur, dass der Regie-Absolvent der Berliner Ernst-Busch- Schule vor zwei Jahren am Maxim Gorki Theater eine ebenso sensationelle wie penisproblemfreie Diplominszenierung nach Friedrich Schillers Romanfragment „Der Geisterseher“ vorlegte. Auch bei den Regieverpflichtungen, die es daraufhin von den Spitzenbühnen zwischen Hamburg und Frankfurt hagelte, ging es eher um kanonisches Dramengut und die Gegenwartstauglichkeit antiker Krisen als um Mami und Papi.

Gegenwart ist dem 27-Jährigen, den die Kritikerjury von „Theater heute“ zum Nachwuchsregisseur des Jahres 2010 kürte, tatsächlich wichtig, allerdings nicht im Sinne platter Zeitgeist-Aufpfropfungen. Vielmehr hat Nunes eine besondere Form gefunden, genau den Abstand zu vermessen, der zwischen einem Schiller oder einem Sophokles und uns Nachgeborenen liegt. Seine „Atropa“-Inszenierung nach Tom Lanoye am Hamburger Thalia Theater – eine Auseinandersetzung mit dem trojanischen Krieg – beginnt wie eine Aufwärmübung spätpubertärer Schauspielschüler, die sich im Laufe des Abends umso tiefer in dem antiken Figurenkreis verstricken, je unausweichlicher sie im Kindsopfer oder in uralten Leitkultur-Debatten aktuelle Entsprechungen finden müssen.

Wo andere Regisseure einfach Jeans tragen lassen und Gegenwart behaupten, befragen Nunes’ Schauspieler auf offener Bühne den Text. Und die präzisen Wechselspiele zwischen Identifikationsmomenten und Distanz, die dabei herauskommen, würden schon reichen, um Nunes zum Hoffnungsträger auszurufen. Aber dass diese intelligenten Abende dann auch noch von ungebremster Sinnlichkeit sind, hat endgültig Seltenheitswert im Gegenwartstheater.

Natürlich haben die Ein- und Ausstiege aus der Rolle, die die Schauspieler im Dialog mit dem Bühnentext immer wieder vollziehen, auch mit einer modernen Skepsis gegenüber hermetischem Theaterzauber zu tun. Die archetypische Bühnen-Verabredung – „Das Licht geht aus, Musik setzt ein, und jemand ist total traurig, während ich noch meine Eintrittskarte in der Hand halte“ – widerstrebt dem jungen Regisseur zutiefst. „Das glaubt kein Mensch, da kann der Schauspieler noch so gut sein“, sagt er. Und so wird auch bei seiner neuen Inszenierung – „Rocco und seine Brüder“ nach Luchino Viscontis Film am Berliner Maxim Gorki Theater – die Ebene des Theater-Spiels latent ständig anwesend sein, als eine unter schätzungsweise zwanzig anderen. Es geht Nunes nicht darum, „den Film nachzuerzählen“, sondern um das „archaische Konstrukt, das hinter dieser Familienkonstellation steckt“.

Schwer zu glauben, dass Nunes als Regiestudent beinahe exmatrikuliert worden wäre. „Ich habe versucht, die Techniken, die man dort lernt, anzuwenden und alles richtig zu machen, aber irgendwie haben meine Arbeiten nicht geknallt“, gesteht er ohne Umschweife. Im Grunde rechnete er ständig damit, „die Koffer packen und gehen zu müssen“, auch, wenn das nie explizit ausgesprochen wurde. „Da sagt zum Beispiel ein Theater, es hätte gern vier Regiestudenten. Wir sind aber zu sechst, und es ist völlig klar: Ich darf nicht mitfahren.“

Dass eines Tages der Regisseur Jan Bosse als Gastdozent an der Ernst-Busch- Schule auftauchte und Nunes’ Semesterarbeit, eine „Hamlet“-Konzeption, originell fand, bezeichnet der Regisseur als Glücksfall. Die Inszenierung, die später anhand dieses Konzepts auf der schuleigenen Bühne „bat“ herauskam, wurde zwar nach zwei Vorstellungen abgesetzt. In einer saß aber Klaus Dörr, der Geschäftsführer des Maxim Gorki Theaters, und lud den Abend zum Hochschulfestival ein. Später bot die Gorki-Leitung Nunes an, seine Diplominszenierung, den „Geisterseher“, an ihrem Haus zu realisieren – und hat seither einen neuen Hausregisseur, bei dem sich die komplette Branche regelmäßig die Augen reibt. Wie schafft es dieser junge Mann bloß, aus guten Schauspielern immer wieder wahrhaft sensationelle zu machen?

Die Gorki-Dramaturgin Carmen Wolfram glaubt, dass Nunes’ Tiefenentspanntheit und sein ausgeprägtes Desinteresse am eigenen Bauchnabel auch biografische Gründe haben. „Naja“, denkt der Regisseur nach, „ich hatte zumindest nie Eltern, die um Themen kreisten wie: Oh Gott, mein Kind hat schlechte Noten!“

Seine Mutter, eine chilenische Sozialpädagogin, und sein Vater, ein portugiesischer Psychotherapeut, waren unabhängig voneinander wegen der Pinochet- beziehungsweise der Salazar-Diktatur nach Deutschland gekommen und lernten sich hier kennen. Mit ihren ungewöhnlichen und teilweise sehr harten Biografien mag der Sohn, der „wohl behütet“ in Tübingen aufwuchs, aber nicht hausieren gehen. Auf die im Betrieb allenthalben gestellte Frage, ob er die Lebensgeschichten seiner Eltern nicht künstlerisch verarbeiten wolle, kann er durchaus allergisch reagieren. „Erstens sind das nicht meine Geschichten“, sagt Nunes. Und zweitens könne er Fremdheit oder Integration wesentlich inspirierter anhand von Stoffen wie „Roccos Brüder“ verhandeln. „Ich mache ja Theater, weil ich etwas suche, das größer ist als mein Leben.“

„Rocco und seine Brüder“: Premiere am 5. Mai im Maxim Gorki Theater.

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