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Maxim Gorki Theater: Hühner auf der Hackparty

„Einer flog über das Kuckucksnest“ zeigt das Maxim Gorki Theater wieder am 23. Januar. Doch was für eine Inszenierung des Klassikers erwartet einen dort?

Bei Geschichten aus der geschlossenen Anstalt entzündet sich alles an der Frage, ob den Verrückten ihre Würde belassen wird, ob sie als Witzfiguren vorgeführt oder als die besseren Normalen gefeiert werden. Im Falle von Ken Keseys Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“ und dessen Bühnenbearbeitung durch Dale Wassermann liegt die Antwort irgendwo dazwischen. Liebenswerte Käuze sind diese Klinikkameraden, gerade problembeladen genug, um sich für den Büroalltag zu disqualifizieren, aber eben keine wirklich Geistesgestörten. So hat Milos Forman den Stoff verfilmt, und so inszeniert ihn auch Jan Jochymski.

Beim Einlass sind die Leibesübungen in vollem Gange. Die Psychiatriepatienten ertüchtigen sich unter der Anleitung der schönen Schwester Flinn (Wanda Perdelwitz) mit dem Strecken nach imaginären Äpfeln. Der Tagesablauf folgt Ritualen, nach der Medikamentenausgabe geht’s zur Gruppensitzung, die als Typengalerie der Ticks funktioniert, aber auch die Selbstdemütigungen der unsolidarischen Insassen vorführt – „Hühner auf einer Hack-Party“, wie es im Text heißt.

Schwächster in der Zwangsgemeinschaft ist Billy Bibbit, den Wolfgang Hosfeld als Riesenbaby mit leuchtenden Augen gibt, die Sanftmut selbst. Ganz im Gegensatz zum cholerischen Scanlon, bei Silvio Hildebrandt ein Zottelkopf in Trainingsklamotten, der vor Wut schon mal Zettel frisst. Was wiederum Zwangsneurotiker Harding beargwöhnt, dessen Korrektheitstick Gunnar Teuber durch wiederholten Griff an die Brille veranschaulicht. Welche Neurosen den Anstaltsaristokraten Cheswick (Ulrich Anschütz) plagen, bleibt nebulös, er nimmt seine Psychopharmka nur, wenn man ihm die Freiheit der Wahl vorgaukelt. Komplettiert wird das Gruppenbild vom Indianerhäuptling Bromden (Max Simonischek als Borderliner), der sich taub und stumm stellt und daran erinnert, dass hier auch ein Western erzählt werden soll. Auf wilde Natur verweist schon die Ausstattung: Ein totemähnlicher Stationsstamm im Hintergrund, an den die Patienten ihre Wunschzettel heften, dazu Fotowände vom Wald (Bühne: Thilo Reuther) – nur leider sieht man die Inszenierung vor lauter Bäumen nicht.

Was spätestens schmerzhaft wird, wenn der Outlaw Randle McMurphy (Robert Kukulies) erscheint. Mit „Boah, geil ey“-Attitüde platzt er in die Runde, lässt die Hosen runter und mischt das Matriarchat von Oberschwester Ratched auf: Ursula Werner tarnt deren Herrschsucht hinter großmütterlicher Güte und treibt gegen Ende den armen Billy in den Tod.

Das Stück erfreut sich wegen seines antiautoritären Gestus zeitloser Beliebtheit. Mehr als die Rebellenpose liest ihm auch Jochymski nicht ab. Murphy bleibt unhinterfragter Held, der die Verzagten wachrüttelt – die alle freiwillig in der Psychiatrie sind, weil sie sich als „Kaninchen“ den Wölfen da draußen nicht gewachsen fühlen. Wahre Nonkonformisten also, weil sie sich dem bürgerlichen Erfolgsmodell entziehen. Ihr Recht auf Rückzug zu verteidigen, wäre ein spannender Ansatz gewesen. Patrick Wildermann

Wieder am 23. Januar, 19.30 Uhr

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