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Ins Elend getrieben? Till Wonka, Aram Tafreshian und Falilou Seck in der Inszenierung „Je suis Jeanne d’Arc“.

© Ute Langkafel/Maifoto

Maxim Gorki Theater: "Je suis Jeanne d'Arc": Heilige Terroristin

In Videogewittern: Mikaël Serre verbindet am Maxim Gorki Theater in Berlin die Jungfrau von Orleans mit Marine Le Pen.

An der französischen Kriegsfront sieht es nicht gut aus: Der Kampf aussichtslos, die Mittel rar, die Truppen demoralisiert, der König resigniert. Die feindlichen Engländer haben sich mit dem Herzog von Burgund verbündet. In Friedrich Schillers romantischer Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“ schlägt jetzt die Stunde des Hirtenmädchens Johanna, das sich qua göttlicher Einflüsterung in die Schlacht stürzt und Frankreich von Sieg zu Sieg führt.

In Mikaël Serres Inszenierung „Je suis Jeanne d’Arc“ am Maxim Gorki Theater hingegen wird erst einmal ein Kommentar zur europäischen Flüchtlingspolitik eingearbeitet. Schiller lässt die Jungfrau, die für heutige Ohren tatsächlich schwer nationalistisch klingt, einmal vom „fremden Inselvolk“ sprechen, „das übers Meer gekommen, uns zu Knechten zu machen“. Also flimmern über die Innenwände der weißen Box, die Bühnenbildnerin Nina Wetzel auf das Szenario gebaut hat, Video-Meereswellen und Badebilder von sommerlichen Urlaubsstränden. Davor liegt der Schauspieler Aleksandar Radenkovic auf Sandsäcken und macht Schwimmbewegungen. Sein Kollege Falilou Seck, der in der Schiller-Szene gerade den leicht weinerlichen König gegeben hatte, beäugt ihn scharf. Als der Schwimmer schließlich tot auf den Säcken liegt, heuchelt er peinliche Mitleidsgrimassen in die Kamera.

Bilder fanatischer Kämpfer jagen über Leinwände

Kurzum: Subtil ist dieser Abend nicht, der sich von der 1801 uraufgeführten „Jungfrau von Orleans“ abstößt, um nach den (ideologischen) Fronten von heute und den vielfältigen Vereinnahmungen des Jeanne-d’Arc-Mythos zu fragen. Er will es auch nicht sein – und interessiert sich übrigens auch nicht sonderlich für Schiller. Vielmehr greift der in Paris lebende Regisseur Serre nach Stichworten, um daran seine Assoziationsketten zum Frankreich nach den jüngsten Terroranschlägen aufzufädeln, die den Zuschauern dann regelrecht um die Ohren gehauen werden. So jagen einmal minutenlang Videobilder von Sébastien Dupoey mit Starbucks- oder McDonalds-Logos, religiösen Symbolen und Bildern fanatischer Kämpfer über die Leinwände. Im Vordergrund tanzt Aleksandar Radenkovic dazu mit einer Marine-Le-Pen-Maske: Die französische Rechtspopulistin stilisiert sich ja gern zur neuen Jeanne d’Arc – und nimmt in der Inszenierung, die nicht nur Frankreich, sondern den gesamten Westen kritisch hinterfragt, den entsprechenden Raum ein.

Das alles hat zweifellos Wucht und Vitalität, führt aber in seiner schieren Material-Aufhäufung selten zu wirklichen (Mit-)Denkangeboten. Man kann das oft beobachten im Polit-Theater dieser Tage: Die Bühne agiert weniger als Reflexionsort denn vielmehr als Multiplikatorin, die noch einmal illustrierend zusammenfasst, was ihrer (und oft auch der Zuschauer) Meinung nach vor der Theatertür los ist. Vielleicht ist mehr im Moment tatsächlich auch kaum möglich. Und doch lassen einen solche Abende unbefriedigt zurück.

Die Jungfrau wird einem Test unterzogen

Als die Jungfrau, die von der Schauspielerin Marina Frenk wohltuend klar und denkbar unromantisch-sachlich gespielt wird, schließlich am französischen Hof eintrifft, wird sie erst einmal einem „Jungfrauentest“ unterzogen. Zwei Männer halten sie fest, während der König ihr mit einer Art Stahlhandschuh für eine gefühlte Ewigkeit unter den Rock fährt. Johanna wird hier auch immer wieder durch die feministische Brille betrachtet.

Im Vordergrund des Neunzigminüters aber steht das nationalistische und gotteskriegerische (Vereinnahmungs-)Potenzial. Dem englischen Feldherrn Lionel schleudert Johanna auf dem Schlachtfeld patriotische Parolen entgegen, die direkt aus dem Le-Pen-Repertoire stammen können, während Lionel westkritisch kontert: „Jahrhundertelang habt ihr andere ins Elend getrieben, damit ihr im Wohlstand leben könnt.“ Später – wir sehen jetzt auf den Leinwänden die Bilder aus Paris nach den Anschlägen vom 13. November – ist Johanna kurzzeitig drauf und dran, sich von einem (Todes-)Engel umgarnen zu lassen, der Wort für Wort das Bekennerschreiben des sogenannten Islamischen Staates verliest.

„Ich verstehe die Welt nicht mehr“, lässt Serre den Schillerschen La Hire einmal räsonieren. Er dürfte sich damit in guter Gesellschaft befinden.

Wieder am 8. und 14. Januar, 19.30 Uhr

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