zum Hauptinhalt
Das Maxim-Gorki-Theater bleibt hinter der "Neuen Wache" stehen, ist aber nun wieder Eigentum der Sing-Akademie zu Berlin.

© dpa

Maxim-Gorki-Theater: Sing-Akademie erlebt künstlerische Renaissance

Das Maxim-Gorki-Theater ist wieder Eigentum der Sing-Akademie zu Berlin. Da das Theater an seinem Standort bleibt, werden Pachtzahlungen fällig. Und ermöglichen ein erweitertes Kulturangebot.

400 000 Euro hat der Casus den Senat schon gekostet – und er wird in Zukunft noch viel teurer werden. 22 Jahre zog sich der Rechtsstreit um das Haus der Sing-Akademie zu Berlin hin, jenen klassizistischen Musentempel hinter der Neuen Wache in Mitte, in dem seit 1952 das Maxim-Gorki-Theater spielt. Im vergangenen Dezember entschied nun der Bundesgerichtshof letztinstanzlich, dass der 1791 gegründete, älteste gemischte Chor der Welt Eigentümerin der Immobilie ist. Und immer war. Nur aus Versehen habe ein DDR-Beamter 1961 den Stempel „Eigentum des Volkes“ ins Grundbuch gedrückt, weil er davon ausging, das Gebäude zähle zu jenen preußischen Besitztümern, die nach dem Krieg enteignet wurden. Tatsächlich aber war der Chor stets ein unabhängiger Verein geblieben. Darum steht ihm das mit privaten Mitteln 1824 errichtete Gebäude auf dem innerstädtischen Filetgrundstück zu. Die Prozesskosten trägt der Senat.

Am heutigen Freitag muss Kulturstaatssekretär André Schmitz als Vertreter der unterlegenen Seite erstmals dem Vorsitzenden der Sing-Akademie, Georg Graf zu Castell-Castell, gegenübertreten, um über eine Verpachtung des Hauses zu verhandeln. Dass Castell Rechtsanwalt ist und darum genau weiß, dass der Chor nicht nur künftig Geld vom Subventionsgeber des Gorki-Theaters fordern kann, sondern auch rückwirkend – „für entgangene Einnahmen“ –, drängt den Senat dabei ziemlich in die Defensive. Im Herbst wird die neue Intendantin Shermin Langhoff dort loslegen – und will eine klare Perspektive haben.

Immerhin will der Chor den jetzigen Nutzer nicht vertreiben. Einst galt der Konzertsaal der Sing-Akademie akustisch als einer der besten der Welt, nach der Zerstörung 1943 aber wurde das Haus beim Wiederaufbau im Innern neu gestaltet, nämlich gemäß den Bedürfnissen einer Sprechtheatertruppe.

Der Chor hat ganz andere Pläne. Vor ein paar Jahren hat er sich neu erfunden, als nämlich die Mitglieder auf die Idee verfielen, Kai-Uwe Jirka, den UdK-Professor für Chorleitung und Chef des Staats- und Domchors, zu ihrem Dirigenten zu machen. Der wiederum holte den Lyriker und Dramaturgen Christian Filips mit ins Boot – und gemeinsam gelang eine veritable Renaissance des traditionsreichen Liebhaberensembles. Die sich ganz auf jenen Chor-Geist gründet, durch den die Sing-Akademie im 19. Jahrhundert zum Vorreiter der bürgerlichen Emanzipation in Preußen geworden war.

Pachtzahlungen als Finanzquelle

„Wir wollten nicht mit den großen Laienchören der Stadt konkurrieren“, erzählt Filips im Chorbüro in der Ackerstraße. „Unser Ziel kann nicht sein, dem Kulturkalender weitere repräsentative Aufführungen berühmter Oratorien hinzuzufügen.“ Stattdessen besann man sich auf die Bedeutung des Chornamens: „Der aus der Antike entlehnte Begriff Akademie weist stets auf eine Ausbildungsfunktion hin. Schaut man sich an, wie das Haus ab 1824 genutzt wurde, lässt sich hier ein Vorläufer der Volkshochschulbewegung erkennen“, findet Filips. „Humboldt hielt seine öffentlichen Vorlesungen in der Sing-Akademie ab, weil dies der einzige Versammlungsort war, der weder vom Hof noch der Kirche oder der Universität abhing.“ Und bei den Proben trafen nicht nur erstmals Männer und Frauen zum gemeinsamen Singen zusammen, sondern eben auch Akademiker aller Fakultäten, die hinterher fern ihrer Fachdiskurse ins Gespräch kamen.

So ein Ort des Austausches sollte die Sing-Akademie zu Berlin nach dem Willen der 2006 berufenen Doppelspitze wieder werden. Um dies erreichen zu können, zog man sich zunächst ganz bewusst aus der Öffentlichkeit zurück. Lange genug stand der Chor wegen unkünstlerischer Aktionen im Rampenlicht: Neben dem juristischen Ringen ums Gorki-Theater war da die Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der 1963 im Ostteil der Stadt nachgegründeten Berliner Singakademie oder auch die rechtliche Verfolgung jener Künstler, die ohne Plazet des Chores Werke aus dem seit 1945 verschollen geglaubten, dann aber 2001 von Kiew nach Berlin zurückgeführten Archiv aufführen wollten.

An der Invalidenstraße fand die Akademie eine neue Heimstatt. Hier steht Schinkels Elisabethkirche, die ästhetisch ans klassizistische Stammhaus erinnert, hier gibt es im Gemeindehaus, der Villa Elisabeth, gute Proberäume.

Nach sechs Jahren Aufbauarbeit hat der Chor inzwischen wieder rund 90 aktive Mitglieder, hinzu kommt ein ebenso großer Mädchenchor. Zwei Veranstaltungsreihen, mit denen sich der Chor in die Stadt hinein vernetzen will, stehen im Mittelpunkt, beide finden bei freiem Eintritt statt: Da ist zum einen „Familiär!“, das offene Singen, bei dem Kinder und Eltern klassische und neue Lieder erproben (nächster Termin: 12. Februar). Und da ist zum anderen „Oratorio!“, eine Abendveranstaltung für erfahrene Choristen, die gerne spontan Hits des Repertoires schmettern. „Zu unseren eigenen Sängern stoßen hier UdK-Musikstudenten sowie andere Chöre, die das betreffende Werk gerade erarbeitet haben und es gerne noch mal singen wollen“, sagt Filips.

Finanziert wird diese Basisarbeit bislang durch Mitgliedsbeiträge und gelegentliche Spenden großbürgerlicher Mäzene. Geld vom Staat gab es dafür nie. Das wird sich nun ändern: Die künftig fälligen Pachtzahlungen für die vereinseigene Immobilie eröffnen ganz neue Perspektiven. Gerne würden sich Jirka und Filips am „Haus der Chormusik“ beteiligen, das der Deutsche Chorverband in Berlin errichten will, gewissermaßen als Nachfolge-Bau des alten Sing-Akademie-Musentempels. Noch konnte im Gespräch mit dem Senat kein geeignetes Grundstück gefunden werden. Aber wer weiß, vielleicht lässt sich da jetzt was machen, im Zuge der Verhandlungen über die Nutzungsbedingungen für das Gorki-Theater.

Infos zum Chor: www.sing-akademie.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false