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Kultur: Mazedonien-Einsatz: Ausmanövriert

"Die haben uns hinters Licht geführt", zürnt am Freitagmorgen ein Unionsmann. Er meint das politisch, aber mehr noch im direkten Sinne.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

"Die haben uns hinters Licht geführt", zürnt am Freitagmorgen ein Unionsmann. Er meint das politisch, aber mehr noch im direkten Sinne. Am Donnerstagabend hatte der Kanzler die Fraktionschefs des Bundestages zu sich gebeten, um über einen Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr zu reden. Als nach einer knappen Stunde die Gäste zum Fahrstuhl geleitet wurden, entschwanden der Außen- und der Verteidigungsminister mit einem anderen Lift. Erst draußen dämmerte Friedrich Merz und Wolfgang Gerhardt der Sinn: Die Kameras vor dem Kanzleramt waren verschwunden. Die standen jetzt alle hinten im Garten, und davor verkündeten Joschka Fischer und Rudolf Scharping ihre Sicht der Dinge.

Die kleine Szene ist bezeichnend für den Umgang mit der heiklen Mazedonien-Frage: Hinter den voll tönenden Worten von Bündnissolidarität und außenpolitischer Verantwortung verbirgt sich ein heftiges innenpolitisches Taktieren. Und dies keineswegs nur bei der Opposition. Auch im Regierungslager hat derzeit nicht die Frage Priorität, was für den Balkan richtig wäre, sondern eine andere: Wie umschiffen wir die Klippen im eigenen Land?

Zur Zeit läuft das Manöver aus Sicht der Koalition gar nicht so schlecht. Am Freitag früh hat Joschka Fischer im Bundestag die offizielle Regierungslinie vertreten. "Deut schland darf nicht abseits stehen", appellierte der Außenminister an die Opposition. "Es geht auch um die Glaubwürdigkeit." Wenn die Nato rufe, könne die Bundeswehr nicht zu Hause bleiben. Dem widerspricht die Opposition im Grunde nicht. Nur, so Unionsfraktionsvize Volker Rühe: "Sie haben doch das Schwert stumpf gemacht, mit dem sie jetzt kämpfen wollen." Und für die FDP mahnt deren Fraktionschef Wolfgang Gerhardt an: "Wenn wir ein ehrliches Mandat erteilen wollen, müssen wir auch ehrlich diskutieren."

Die Formel vom "ehrlichen Mandat" stammt nicht von Gerhardt, sondern von Gerhard Schröder, und sie umschreibt das Kernproblem. Niemand glaubt an jenen 30-Tage-Einsatz zum Einsammeln von Waffen, den die Nato bislang noch anpeilt. "Dann könnten Sie die Feuerwehr da runter schicken und keine Soldaten", spottet der FDP-Außenpolitiker Ulrich Irmer. Auch die Regierung geht davon aus, dass es länger dauert und unangenehmer werden kann. Selbst wenn deutsche Fallschirmjäger nur mit einem Mandat für 30, 40 Tage in den Einsatz geschickt würden, ist daher schon geplant, dass der Bundestag zwei Wochen später einen Antrag auf Verlängerung, womöglich auf Ausweitung präsentiert bekommt. Der Einsatzbeschluss der Nato übrigens, sagt ein Kabinettsmitglied, enthalte bereits eine Option auf Ausdehnung der Operation - zeitlich wie im Umfang.

Offen sagt das aber keiner. Fischer deutet es nur an: Eine Verschlechterung der Lage sei denkbar, und dann "müsste neu bewertet werden". Diese Wortklauberei hängt mit der Innenpolitik zusammen. In der Koalition glaubt man, eine sichere Mehrheit für einen 30-Tage-Einsatz beisammen zu haben. Nicht zufällig war erster SPD-Redner im Bundestag der Fraktionsvize Gernot Erler. Der war vor kurzem in der Fraktion noch als Skeptiker aufgetreten, bekundete aber nun, die Deutschen hätten "keine Wahl, sondern eine Pflicht". Bei den Grünen meldeten Kritiker wie die Wehrexpertin Angelika Beer zwar weiter Bedenken an. Aber Beers Nein galt nur einer Zustimmung zum Einsatz "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" - von dem niemand redet - und weil die Waffenruhe noch nicht stabil sei. Das würde aber Fischer auch nicht anders sagen.

Die Grünen-Fraktionsführung schreckt derlei denn auch nicht. Sie rechnet mit vier bis fünf Abweichlern in den eigenen Reihen. Rot-Grün hat aber eine Zehn-Stimmen-Mehrheit. Und dann ist da ja noch die FDP. "Die sind auf dem Wege", glaubt der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen. Bei den Grünen klingt das noch sicherer: Die Liberalen seien längst "im Sack". In der Tat läuft der Kriterienkatalog, den Gerhardt im Plenum aufstellt, auf das Fazit hinaus: Wenn ihr uns nur ehrlich sagt, was ihr wollt, dann stimmen wir noch viel mehr als 30 Tagen zu.

Bleiben CDU und CSU. Auf den ersten Blick beharrt die Union weiter auf ihrem strikt konditionierten Nein: Die Regierung, so das Argument, habe die Bundeswehr um ihre Einsatzfähigkeit gespart, und wenn sich das nicht ändere, könne die Union nicht zustimmen. Aber die Zwischentöne klingen inzwischen viel konzilianter. Da ist nur noch von einem "Einstieg" in eine bessere Bundeswehr-Finanzierung die Rede. Vor allem aber: Rühe nennt diese Bedingung nur noch als letzte von dreien, nach einer stabilen Lage in Mazedonien und einem klar begrenzten Mandat.

Das entsprach dem Tonfall, den rote und grüne Teilnehmer der Kanzler-Runde am Abend zuvor bei Unionsfraktionschef Merz und seinem Vize Michael Glos registriert hatten: "sehr zurückhaltend" seien die Herren gewesen. Das hat Gründe. Wolfgang Schäuble hat sie am Freitag morgen in der Unionsfraktion auf den Punkt gebracht. Eindringlich hat Schäuble die Abgeordneten gewarnt, das eingängige Argument überzustrapazieren, die Bundeswehr könne, weil kaputt gespart, gar nicht ausrücken. Wenn es sein müsse, dann habe noch jede Regierung die Truppen und Ausrüstungen gefunden, die sie brauche. So hat längst auch bei der Union ein nüchternes Abwägen eingesetzt. Man will es Rot-Grün nicht leicht machen; aber die Einsicht greift Platz, dass ein Nein der Union mehr schadet als es der Regierung unangenehm wäre.

So wird es wohl so kommen, wie es Kenner der Abläufe in der Regierung skizzieren: In acht bis zehn Tagen wird das Kabinett den Sommerurlaub unterbrechen und ein Mandat beschließen, wenig später wird der Bundestag in einer Sondersitzung es billigen - mit welcher Mehrheit auch immer. Und wenn der Einsatz länger dauert und teurer wird als geplant - auch daran wird schon gedacht. Maßgebliche Koalitionspolitiker wissen zu berichten, dass die Amerikaner schon Hilfe signalisiert haben für den Fall, dass der Mazedonien-Einsatz vom Waffensammeltripp zum Kampfeinsatz zwischen verfeindeten Bürgerkriegsparteien ausartet. Auch am Geld werde es nicht scheitern.

Bei der Nato aber kümmert sich ohnehin niemand um die deutschen Prinzipiendebatten. Am Freitag hat in Brüssel die Umsetzung des Einsatzplans begonnen. Die ersten Logistik-Einheiten werden in Kürze in Marsch gesetzt, Material auf den Weg gebracht. Der Einsatz hat begonnen.

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