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Kultur: Meditation und Massaker

Erforschung eines Bilderkosmos: Das Berliner Arsenal widmet Korea eine großeRetrospektive

Herbstblätter. Blut. Eisenbahnen. Gewitter. Erzählstränge, die kreuz und quer verlaufen. Etwas willkürlich ist es schon, die Vielfalt eines nationalen Filmschaffens auf zwei oder drei Bilder zu konzentrieren. Verlockend ist es trotzdem. Zumal bei Südkorea, dem derzeit aufregendsten Filmland im angesagten asiatischen Kino, dessen Aufschwung nach dem Ende der Militärdiktatur mittlerweile sogar den ehemaligen großen Bruder Hongkong übertrifft. Im Berliner Arsenal-Kino wird es ab heute in einer umfassenden Retrospektive vorgestellt. 30 Filme aus 20 Jahren: jeder für sich ein Kunstwerk mit eigener Handschrift. Und gemeinsam eröffnen sie die Chance zur Entdeckung eines ganzen Bilderkosmos.

Was ist individueller Stil? Was sind kollektive Mythen? Wie sich Geschichte in Kinogeschichten niederschlägt, ist schon nach wenigen Filmen kaum noch zu übersehen. Und auch in den poetisch intimen Filmen des durch japanische Kolonialisierung, Teilung, Besetzung und Krieg gebeutelten Landes schimmert die Allgegenwart der Gewalt durch. Natürlich gibt es auch harmlose Teenie-Komödien. Doch die von den Freunden der Deutschen Kinemathek zusammengestellte Schau, die im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen (und im Vorfeld der Buchmesse mit dem Gastland Korea) gezeigt wird, widmet sich vor allem dem künstlerisch unabhängigen Kino, das seit Anfang der Achtzigerjahre etwa mit Im Kwon-taeks „Mandala“ (1981), Lee Chang-hos „Das Manifest der Narren“ (1983) oder „Warum BodhiDarma in den Orient aufbrach“ (1989) auf sich aufmerksam machte.

Dabei tat die Zensur das Ihrige zur Entwicklung einer Filmsprache, die ihre sozialen Anliegen in ebenso radikale wie scheinbar privatistische Metaphern verpackte. So ist der Suizid am Anfang von „Das Manifest der Narren“ als direkter Protest des Regisseurs gegen die rabiaten Eingriffe in sein Drehbuch zu verstehen. Und auch die beiden buddhistischen Lehrstücke sind keine weichgespülte Feng-Shui-Folklore. „Mandala“, nach den blutigen Massakern an aufbegehrenden Studenten entstanden, verhandelt über Meditationen im Mönchsgewand knallharte Fragen der politischen Moral.

Am 25. März 1993 wird nach 32 Jahren die erste demokratische Regierung Koreas gewählt. Die Zensur fällt, die sozialen Verwerfungen bleiben. Armut, Ausbeutung, familiäre Gewalt und Korruption bleiben omnipräsent in den aktuellen Filmen. Doch auch die Geschichte lebt fort. Nachdrücklich zeigt das „Peppermint Candy“ (2000, Lee Chang-dong), der den Blick von der feucht-fröhlichen Karaoke-Seligkeit eines Ehemaligentreffens sukzessive in eine Vergangenheit richtet, in der Brutalität und Verrat das Glück des Aufbruchs zerstört haben. Zu Beginn auch hier ein Selbstmord. Am Ende auch hier das Massaker. Roter Faden der Reise in die Geschichte ist eine Eisenbahnfahrt durch idyllische Landschaft.

„My Korean Cinema“ nennt Kim Hong-joon seinen Streifzug durch die koreanische Filmgeschichte in fünf Episoden. Eine davon ist einem FünfzigerJahre-Musical gewidmet, in dem Krankenschwestern als „weiße Engel“ mit Banjo jazzen. Eine andere erzählt von der dunklen Gegenfigur: der femme fatale, mit Zigarette, die in der kurzen Blütezeit des koreanischen Kinos nach dem Krieg für Schrecken sorgte. Ein besonders furchterregendes Exemplar ist in Kim Ki-youngs Kultfilm „The Housemaid“ (1960) zu erleben: Die Moritat um einen biederen Musiklehrer, dessen Familie von einer nikotinsüchtigen Hausangestellten in den Untergang getrieben wird, wird gerne als antipatriarchale Anklage gedeutet. Der Film sieht allerdings eher wie eine patriarchale Angstfantasie vor der Unruhe aus, die das Fernsehen ins Haus und die Frauen in die Fabrik bringen. Nur im Musikunterricht wird noch brav das fallende Herbstlaub besungen. Zimperlich geht „The Housemaid“ nicht zur Sache. Das blutige Grauen des Finales wird nur durch die Komik gemildert, die sich aus dem Kontrast zwischen drastischen Effekten und hausbackener Moral ergeben.

Vom Herbstlaub gesungen wird auch in einem Dokumentarfilm, der ins Zentrum des koreanischen Traumas zielt: „Repatriation“ verfolgt das Schicksal nordkoreanischer Männer, die nach der Teilung im Süden als Spione verhaftet werden. Während manche „Konvertierungserklärungen“ abgeben und freikommen, bleiben über 60 jahrzehntelang in Haft, bis sie nach ihrer Entlassung Anfang der Neunzigerjahre um ihre Repatriierung in den Norden kämpfen. Regisseur Kim Dong-won war fasziniert von der Unbeugsamkeit der Männer und hat sie seitdem begleitet. Eine intime Langzeitstudie über die Sehnsucht nach Heimat, nicht nur in einem geteilten Land.

„Korea – die Entdeckung eines Kontinents“. Arsenal, Potsdamer Str. 2, 8.9. – 6.10. Eröffnung heute um 19 Uhr mit „Flower Island“ von Song Il-gon (2001)

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