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Kultur: Mehr als bloß ein Illustrator - Die Rebellion trägt eine rote Lederjacke

Auch in der DDR wussten die Jugendlichen nicht immer, was sie taten. Sie lungerten an U-Bahnhöfen herum, flirteten, tranken, rauften miteinander und schreckten auch vor Einbrüchen nicht zurück, um an die begehrten West-Klamotten zu kommen.

Auch in der DDR wussten die Jugendlichen nicht immer, was sie taten. Sie lungerten an U-Bahnhöfen herum, flirteten, tranken, rauften miteinander und schreckten auch vor Einbrüchen nicht zurück, um an die begehrten West-Klamotten zu kommen. So war das jedenfalls in "Berlin - Ecke Schönhauser", der 1957 entstandenen DEFA-Antwort auf die Halbstarken-Filme des Klassenfeindes. Ekkehard Schall gab den DDR-James-Dean in roter Motorradjacke, Ilse Pagé war eine Ost-Natalie-Wood mit Pferdeschwanz. Die Nachkriegskinder in Gerhard Kleins neorealistischem Kiez-Melodram waren Rebellen ohne Grund, die am Ende von einem Ausbruchsversuch an den Kudamm doch wieder in den Prenzlauer Berg zurückkehrten, um beim Aufbau des Sozialismus mitzuhelfen. Den Parteioberen gefiel der semi-dokumentarische Spielfilm deshalb als "interessantes Beispiel für die Bewältigung der Gegenwart durch die DEFA" (ein DDR-Filmlexikon 1968).

Ein Blick auf das von Hans Baltzer gestaltete Plakat genügt, um zu wissen, worum es in "Berlin - Ecke Schönhauser" geht: Die vornübergebeugte Gestalt des Jungen signalisiert trotzige Aufmüpfigkeit, und das Mädchen mit den knallrot geschminkten Lippen lehnt so gelangweilt an der Mauer, als ob sie nur darauf wartet, von dem erstbesten Passanten angesprochen und aus ihrer Tristesse entführt zu werden. Baltzer, der am 29. März hundert Jahre alt geworden wäre, ist es immer wieder gelungen, die Handlung eines ganzen Filmes in einem einzigen Bild zusammenzufassen. Für die Zola-Verfilmung "Der schöne Octave" (1960) stellte er die überlängte Silhouette des Schauspielers Gérard Philipe vor eine gestreifte Biedermeiertapete; für den Zirkus-Film "Salto Mortale" (54) zeigte er eine langbeinige Artistin im Dressur-Duell mit einem Löwen.

Tier-Darstellungen waren eine Spezialität des Berliner Werbegraphikers, der sich bereits 1924 mit einem eigenen Reklameatelier selbstständig gemacht hatte und in der DDR zum mit zwei Nationalpreisen ausgezeichneten Staatskünstler aufstieg. Den gemütlich dahertrottenden Elefanten, sich wild aufbäumenden Pferden und majestätisch lagernden Wildschweinen, die Baltzer aufs Papier warf, ist anzusehen, dass er die Tiere und ihre Bewegungsabläufe eingehend im Zoo studiert hatte. Hans Baltzer, das zeigt eine Ausstellung mit seinen Zeichnungen, Plakaten und Buch-Graphiken in der Kulturbrauerei, war mehr als bloß ein Illustrator: Seine Bilder erzählen keine fremden Geschichten nach, sie erschaffen ihre eigene Welt.Galerie im Pferdestall in der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97 (Prenzlauer Berg), bis zum 30. April, Mo-Fr 16-20, Sa/So 14-20 Uhr

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