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Kultur: Mehr Geschichte braucht das Land

Gestern wurde der Schlüssel für das sanierte Berliner Zeughaus übergeben. Das Deutsche Historische Museum beginnt nun, seine ständige Ausstellung dort einzurichten. Und das in einer Zeit, in der die Deutschen wieder neu über ihre Vergangenheit debattieren

Wenn ein so spröder Begriff wie Zeitgeschichte überhaupt je eine Chance besäße, dann hätte er zum Wort des Jahres 2003 erklärt werden müssen. Ob die Debatte über die Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs, ob „Good Bye Lenin!“ und die Ostalgie-Welle oder ein so nachdenkliches Buch wie Uwe Timms „Am Beispiel meines Bruders“, oder auch der Streit um die RAF-Ausstellung der Berliner Kunstwerke: Wir Deutschen, so scheint es, sind dabei, unser Verhältnis zu unserer Geschichte, zum letzten Jahrhundert und dem, was wir darin erlebt und angerichtet haben, neu zu durchdenken.

So unterschiedlich diese Ereignisse auch sein mögen, es geht dabei weder um Entlastung noch um einen zu Recht gefürchteten Schlussstrich. Wohl aber um das Sichten von Geschichte, um (Selbst-)Vergewisserung – also um einen Akt der Musealisierung. Die großen Geschichtsmuseen und Ausstellungshäuser spielten dabei allerdings bisher keine nennenswerte Rolle, weder in Berlin noch in Bonn, München, Nürnberg oder Stuttgart.

Das könnte, nein, das sollte sich in diesem Jahr ändern. Denn gestern wurde nach fünfjähriger Generalsanierung das Berliner Zeughaus als künftiger Stammsitz des Deutschen Historischen Museums (DHM) übergeben. Das Institut, das sich seit bald 17 Jahren als Nationalmuseum zur „Aufklärung und Verständigung über die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Europäern“ versteht, will zum Jahresende die lange erwartete Dauerausstellung zu 2000 Jahren „deutscher“ Geschichte eröffnen. Sie wird auch dazu dienen müssen, den Ruf des DHM zu polieren, der seit dem Weggang von Gründungsdirektor Christoph Stölzl 1999 und durch die bislang glücklose Amtszeit seines Nachfolgers Hans Ottomeyer angeschlagen ist.

Mit dem Zeughaus, dem im letzten Frühjahr eröffneten Neubau Ieoh Ming Peis und dem komfortablen Dienstgebäude am Kupfergraben verfügt das DHM nun erstmals seit seiner Gründung 1987 über ein voll funktionsfähiges Ensemble von Baulichkeiten. Rund 7500 Quadratmeter Ausstellungsfläche stehen künftig der Dauerausstellung zur Verfügung – die zwischen 1994 und 1998 probehalber installierte Schau „Bilder und Zeugnisse der deutschen Geschichte“ musste mit einem Drittel der Fläche und einem Viertel der nun ausgewählten 8000 Objekte auskommen. Das Zeughaus ist, wie ein erster Rundgang durch die beiden vom Muff des SED-eigenen „Museums für Deutsche Geschichte“ befreiten Hauptgeschosse zeigt, ein Haus mit einer in Berlin einmaligen Weitläufigkeit.

Dabei war das im Auftrag des ersten Preußenkönigs Friedrich I. von Johann Arnold Nering begonnene, von Andreas Schlüter eher glücklos weitergeführte und von Jean de Bodt 1706 äußerlich so prachtvoll vollendete Lagerhaus für Kriegsgerät in seiner flexiblen inneren Anspruchslosigkeit eigentlich von Anfang an ein ideales Museum. Der Wiederaufbau des 1943 ausgebrannten und später weitgehend entkernten Gebäudes bis 1965 musste im Grunde nur die fließende Raumstruktur der Barockzeit nachempfinden. Diese Qualitäten wurden durch den jüngsten, rund 25 Millionen Euro teuren Umbau weiter gestärkt. Mit Spannung darf nun erwartet werden, was DHM-Generaldirektor Hans Ottomeyer und sein aus einem runden Dutzend Historikern und Kunsthistorikern bestehendes Kuratorenteam mit den lichten dreischiffigen Hallen von knapp acht Metern Höhe anstellen werden.

Die von Jürg Steiner – bekannt durch die musealen Inszenierungen im Oberhausener Gasometer und in der Kokerei der Essener Zeche Zollverein – konzipierte und von Christian Axt in den nächsten Monaten zu realisierende Ausstellungsarchitektur soll Ende Januar zusammen mit dem Konzept der neuen Dauerpräsentation vorgestellt werden. Der vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung mit dem inneren Umbau beauftragte Architekt Winfried Brenne kann schon jetzt zufrieden sein: Wie es für einen in der Denkmalpflege erfolgreichen Architekten zum guten Ton gehört, sind die Eingriffe zur Ertüchtigung des ehrwürdigen Barockbaus auf den ersten Blick kaum zu bemerken. Der Architekt habe, so lobte Landeskonservator Jörg Haspel, mit zunehmender Perfektion „die Kunst des kleinstmöglichen Eingriffs“ praktiziert.

Was den künftigen Nutzern nicht immer gefiel. Aufwändig mussten die tellerförmigen Deckenleuchten der Fifties, die die Denkmalpfleger erhalten wollten, aktuellen musealen Standards angepasst werden. Mit seinen honiggelben Verkleidungen aus thüringischem Travertin, mit den barock geschwungenen Treppengeländern des Metallkünstlers Fritz Kühn und dem an eine gigantische Eisdiele erinnernden Steinfußboden des Vestibüls atmet das Haus den stalinistisch-spröden Charme der frühen DDR. Hightech steckt sichtbar lediglich in der von Pei verantworteten Überdachung des Schlüterhofs – und den Fensternischen. Hier brachte Brenne die vom Stuttgarter Ingenieurbüro Transsolar entwickelten Klimastationen unter, die, ökologisch korrekt, eine zentrale Klimaanlage erübrigen.

Die bauliche Hülle fällt also bei allem neupreußischen Understatement prächtig aus. Doch es wird ihr Inhalt – die mit 9,1 Millionen Euro veranschlagte Dauerausstellung – sein, die über das künftige Renommee von Haus und Hausherr entscheidet. Soviel ist bisher bekannt: Im Obergeschoss wird sich künftig in „einem Hin- und Widerweg“ die historische Erzählung von der Zeitenwende bis zum Ersten Weltkrieg spannen, unten liegen die Schwerpunkte beim „Dritten Reich“ und den unmittelbaren Kriegsfolgen. Für die Geschichte von BRD und DDR bis zum Abzug der Alliierten 1994 bleibt nur eine Restfläche. Ob ein Haus, das mit Ausstellungen zu barocken Tafelfreuden oder der „Hofjagd“ (ab 19. Februar) den Steckenpferden seines Direktors folgt, an dieser Stelle die richtigen Schwerpunkte setzt, muss sich zeigen.

Als Hans Ottomeyer im Sommer 2000 vom damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann vorgestellt wurde, schlug ihm ob seiner kunsthistorischen Kompetenz und der pragmatischen Erfahrungen als „Macher“ in München und Kassel ein deutlicher Vertrauensvorschuss entgegen. Doch Ottomeyer, der sich selbst eher als Systematiker denn als Visionär sieht, konnte aus diesem Erbe kaum Funken schlagen. Schnell stand er im Ruf, unfähig zur Kommunikation zu sein und das DHM nicht im Gespräch zu halten.

Sicher, Ottomeyer fehlt im Gegensatz zu Stölzl oder zu seinem Amtskollegen Peter-Klaus Schuster von den Staatlichen Museen die Gabe, mit einem genialisch-launigen Satz für gute Stimmung zu sorgen. Doch das – nicht erst seit 2000 durchwachsene – Ausstellungsprogramm des DHM ging teils noch auf das Konto des Vorgängers, verdankte sich andererseits auch den beschränkten räumlichen und finanziellen Möglichkeiten in dem als Interim dienenden Kronprinzenpalais. Auf die Frage, was dereinst als Motto über seiner Amtszeit stehen solle, antwortete Ottomeyer einmal: „Er hat die Dauerausstellung geschafft.“

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