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Kultur: Mein Feind, der Nachbar

Die Unlösbarkeit des Nahostkonflikts: Elia Suleimans bitterböse palästinensische Farce „Göttliche Intervention“

Ein Weihnachtsmann läuft über die Hügel vor den Toren Jerusalems und verliert die Geschenke in seinem Sack: eine dicke, schwitzende Witzfigur – auf den ersten Blick jedenfalls. Aber dann erhält die heitere Szene eine mörderische Schlagseite. Die Komik in „Göttliche Intervention“ ist ein Akt der Hinterlist, der Slapstick entpuppt sich als Tragödie.

Bei der Szene mit dem Aprikosenkern funktioniert die Komik umgekehrt. Elia Suleiman, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion, wirft den Kern achtlos aus dem Autofenster, trifft einen israelischen Panzer und der explodiert, einfach so. Ein Bild der Gewalt, das sich „im Kern“ als harmlose Wunschfantasie erweist: Visionen sind keine Waffen – und wenn sie noch soviel Sprengkraft besitzen.

Elia Suleiman ist ein Meister des rabenschwarzen Humors. Vielleicht kann ein palästinensischer Film über den Nahostkonflikt und die Unmöglichkeit, ihn derzeit friedlich zu lösen, auch gar nichts anderes sein als eine bitterböse Farce. Eine Farce, die keinen Hehl macht aus der politischen Haltung des Regisseurs, der die Israelis von ganzem Herzen verachtet, jedenfalls jene Uniformierten, die den Kontrollposten zwischen Jerusalem und Ramallah bewachen und Schießübungen auf Pappkameradinnen veranstalten. Dennoch ist Suleimans Film, der letztes Jahr in Cannes den Preis der Jury gewann, kein propagandistisches Machwerk. Bei aller unverkennbaren Parteilichkeit des Regisseurs treten die Palästinenser nicht als Opfer israelischer Gewalt- und Willkürakte auf: Sie sind ebenfalls ziemlich unsympathische Zeitgenossen.

Suleiman, der in den 60er Jahren in Nazareth aufwuchs und in den 80ern lange in New York lebte, kennt keine Gnade mit Seinesgleichen. In „Göttliche Intervention“ diagnostiziert er die Deformation jener Landsleute, die permanent von einer Atmosphäre der Aggression, der Rache und des Hasses umgeben sind. Wie leben Menschen nicht mit- sondern gegeneinander? Wie sieht der Alltag einer Gesellschaft aus, die jeden Versuch der Verständigung aufgegeben hat? Was kommt nach dem Ende des Dialogs? Ein Stummfilm vielleicht.

Mit Geschichten aus der Nachbarschaft beginnt es, Geschichten von der Totenstille. Denn es herrscht trügerischer Frieden in den Gassen von Nazareth. Man wirft den Müll in den Garten nebenan, bis die Nachbarsfrau ihn wütend zurückschleudert. Man zersticht den Fußball des Nachbarsjungen, bis dessen Vater sich mit Faustschlägen rächt. Man parkt Einfahrten zu, verflucht mit falschem Lächeln jeden einzelnen Passanten, und wenn doch mal einer die regelmäßig zerstörte Auffahrt repariert, wird sie prompt mit der Spitzhacke wieder zerstört. Lauter kleine Gemeinheiten: Anything goes, aber nichts geht mehr. Suleiman nennt seinen Film ein „road block movie“. Und die Rentner schauen zu, mit stiller Schadenfreude.

Als der Filmemacher in der Hauptrolle eines ratlosen Filmemachers an der Ampel neben einem israelischen Autofahrer warten muss, wird es ausnahmsweise laut. Er setzt die Sonnenbrille auf, dreht das Radio auf und betreibt akustischen Terror mit der arabischen Version von „I put a spell on you“. Nein, auch der Held mit den traurigen Augen ist kein Heiliger. Dennoch nennt Suleiman seinen Film im Untertitel „eine Chronik von Liebe und Schmerz“. Der Protagonist mit Wohnsitz in Jerusalem hat einen schwerkranken Vater, dessen gesamte Existenz weggepfändet wird. Nach einem Schlaganfall liegt er im Hospital – neben den Opfern der Intifada; der Sohn pendelt zwischen Krankenhaus und Niemandsland hin und her. Der Kontrollposten Al-Rama ist der einzige Ort, an dem er sich mit seiner Geliebten aus Ramallah (Manal Khader) treffen kann. Händchen haltend sitzt das Paar im Wagen und beobachtet die Grenzscharmützel der Soldaten, den Kreisverkehr immergleicher Boshaftigkeiten, immergleicher Vergeltungsschläge. Einmal schicken die beiden einen knallroten Luftballon mit Arafats Konterfei über die Grenze: ein grinsender Palästinenserführer als himmlische Erscheinung – surreales Sinnbild einer aussichtslosen Lage.

Und dann ist da noch die Luftnummer mit der palästinensischen Ninja-Kämpferin. Elia Suleiman lässt die Gotteskriegerin beim Training gegen junge Rekruten antreten, choreographiert ein Techno-Ballett mit Maschinengewehren und verpasst ihr einen Heiligenschein aus Patronenhülsen: der blanke Wahnsinn. „Göttliche Intervention“ ist ein filmischer Sabotageakt gegen die Naivität frommer Friedenswünsche. Dabei wird der Sarkasmus derart ad absurdum geführt, dass dahinter doch auch ein Appell vernehmbar wird: mit dem Wahnsinn endlich aufzuhören. Ein verzweifelter, wütender Appell.

Balazs, Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Rollberg, OmU im Eiszeit

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