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Kultur: Mein Gott, Geld

Peter Laudenbach hat den Kapitalismus als Religion erfahren Auch die Berliner Schaubühne spürt erhöhten Diskussionsbedarf in letzten Fragen. Am Sonntag stand ihre „Streitraum“Matinee unter der aparten Überschrift „Kapitalismus als Religion“.

Peter Laudenbach hat den Kapitalismus als Religion erfahren

Auch die Berliner Schaubühne spürt erhöhten Diskussionsbedarf in letzten Fragen. Am Sonntag stand ihre „Streitraum“Matinee unter der aparten Überschrift „Kapitalismus als Religion“. Inspiriert wurde das Gespräch vom gleichnamigen Titel eines Buches, das Dirk Baecker, der prominenteste Schüler des Systemtheoretikers Niklas Luhmann, dieser Tage im Kadmos-Verlag herausgibt. Für den Soziologen Luhmann warf seinerzeit selbst die Frage nach Gott keine größeren Probleme auf: Weil für einen Systemtheoretiker die Gesellschaft nicht aus Individuen, sondern aus Beziehungen besteht, interessierte Luhmann an der „Religion der Gesellschaft“ zunächst einmal, wie sie kommuniziert wird. Von daher lautet die einschlägige Formel, „dass eine Kommunikation immer dann religiös ist, wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet“. So ist „Gott“ für Luhmann nichts anderes als eine „Kontingenzformel“, ein Begriff, der das nicht Begreifbare bezeichnet. Dirk Baecker, der große Luhmann-Schüler, machte es in der Schaubühne komplizierter. Sein wichtigster Zeuge ist Walter Benjamin, der in einem Fragment davon spricht, dass der Kapitalismus „der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen“ diene, auf die zu anderen Zeiten „die Religionen Antwort gaben“. Der Kapitalismus sei daher nichts anderes als „die extremste Kultreligion, die es je gegeben hat“. Hmhm.

Baecker greift das auf und stellt die Behauptung in den Raum, der alternativlos gewordene Kapitalismus sei zum Schicksal, damit zum alleinigen Sinnhorizont geworden. „Die Gesellschaft fühlt sich im Kapitalismus zu Hause, wie sie sich früher mit jenen Geistern und Göttern zu Hause fühlte, die man zwar anrufen, zu denen man beten und denen man opfern konnte, deren Launen und Ratschluss jedoch trotz allem überraschend, letztlich unerforschlich blieben“, so Baecker in seinem neuen Buch. Der Arbeitsmarkt als Götze, Börsenspekulation als Gottesdienst, die Wirtschaftsweisen als Hohepriester.

Baeckers Gesprächspartner in der Schaubühne, der Bischof und Sozialwissenschaftler Friedhelm Hengsbach, wollte der flotten Parole vom Kapitalismus als Religion ebenso wenig zustimmen wie den von Baecker skizzierten sozialen Funktionen des Glaubens. Wer Kapitalismus als Religion beschreibe, so Hengsbach trockene Replik, verstehe weder vom einem noch vom anderen etwas. Der Kern der Religion bestehe nicht in der Funktionalisierung, im gemeinschaftsstiftenden Kult, in der Gut-Böse-Unterscheidung oder gar im Bewusstsein von „Schuld“ – sondern in nichts anderem als in der „Befreiung zur Transzendenz". Einer Befreiung aus allen Funktionssystemen. Und der Kapitalismus ist in des Bischofs Augen schlicht eine von Menschen gemachte Wirtschaftsordnung, kein Schicksal. Seine Funktionsweise lässt sich untersuchen, die ihn bestimmenden „asymmetrischen Machtverhältnisse“ gelte es einzudämmen und nicht metaphysisch zu verklären.

Schöne Paradoxie: Der Theologe argumentiert fast marxistisch, der Soziologe wird esoterisch. Diskutiert wurde übrigens im Bühnenbild einer Erfolgsinszenierung: „Shoppen und Ficken“. Halleluja.

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