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Ein aufgeschlagenes Exemplar der Originalausgabe der Hetzschrift "Mein Kampf" des späteren nationalsozialistischen Diktators Adolf Hitler in einer Bücherei in Frankfurt am Main (Hessen).

© dpa

"Mein Kampf": Aufarbeitung ist ein „Dienst an der Würde der Opfer“

Die Münchner Herausgeber präsentieren die Neu-Edition von Hitlers „Mein Kampf“. Die ersten 5000 Exemplare sind bereits vergriffen, 15 000 weitere bestellt.

Dann geht man also nach der Veranstaltung raus auf die Straße mit 5,4 Kilogramm Hitler in der Hand. Die Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) geben eine neutrale dunkelblaue Stofftasche dazu, damit man die beiden Bände von „Mein Kampf“ verstauen kann. Und auch verstecken.

Es ist die ungewöhnliche Vorstellung eines ungewöhnlichen Buchs an diesem Freitagvormittag in München: Die Hetzschrift des Diktators und größten NS-Verbrechers Adolf Hitler wird in Deutschland wieder verlegt, in einer „kritischen Edition“, herausgegeben vom IfZ München-Berlin. Knapp 2000 Seiten umfassen die Bände, rund zwei Drittel davon sind Einleitungen, Kommentare, Register. Die Forscher waren auch Getriebene der Zeit: Zu Jahresbeginn ist das Urheberrecht abgelaufen. Und es wäre, so sagt Institutsleiter Andreas Wirsching, „politisch-moralisch nicht zu vertreten, da untätig zu bleiben“. Die Aufarbeitung von Rassismus und Gewalt sowie deren Wurzeln sei auch ein „sehr spezifischer Dienst an der Würde der Opfer“.

„Eine große wissenschaftliche Leistung“, lobt britische NS-Forscher Ian Kershaw

Vor dem unscheinbaren Institutsgebäude steht Polizei, TV-Anstalten haben ihre Übertragungswagen postiert. Drinnen im großen Lesesaal drängeln sich Gäste und Journalisten, aus Frankreich, Israel und von der „New York Times“. Auf dem Podium sitzt auch Ian Kershaw, der renommierte britische Historiker und NS-Forscher, der mit seiner zweibändigen Hitler-Biografie Maßstäbe gesetzt hat. Er sichert dieser Ausgabe größte Unterstützung zu. Es sei höchste Zeit für die „große wissenschaftliche Leistung“, sagt Kershaw in gutem Deutsch. Die Bundesrepublik als eine reife Demokratie könne dieses Buch ertragen. Verbote und Zensur riefen nur eine „Faszination am Unzugänglichen“ hervor.

Spezieller Fall, spezielles Konzept. Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte leitete das Herausgeberteam der kommentierten Ausgabe.
Spezieller Fall, spezielles Konzept. Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte leitete das Herausgeberteam der kommentierten Ausgabe.

© dpa

Mit trockenem Humor erzählt der 72-jährige Professor, dass er selbst zwei NS-Ausgaben des Buches besitze. Eine davon hat er in einem britischen Antiquariat erstanden, darin steht die Widmung: „To Charly with love from Adolf“. Ein englischer Besatzungssoldat habe das Buch wohl aus Deutschland mitgebracht und die Bemerkung spaßeshalber reingeschrieben. Kershaw meint: „Hitlers Buch hat der heutigen Welt nichts zu sagen, es ist völlig nutzlos.“ Dennoch sei es ein historischer Text.

Das Interesse an der Edition ist weitaus größer als angenommen. Die Erstausgabe von 5000 Stück ist schon vergriffen, laut Institutsleiter Wirsching gibt es bereits 15 000 weitere Bestellungen. Bei Nennung dieser Zahl zucken die Herausgeber leicht zusammen: dass es so viele sind, hatten sie noch nicht gewusst.

„Dieser spezielle Fall braucht ein spezielles Konzept“, sagt Christian Hartmann, Leiter des Herausgeberteams. Die 3700 Anmerkungen versteht er als Gegenrede, der Originaltext sei „umzingelt“ davon. Er nennt drei Beispiele: Hitlers Begriff der „Rassenschande“ müsse ebenso erklärt werden wie der „Krieg um Lebensraum“ oder Hitlers stilisierte Darstellung der NSDAP-Parteigeschichte.

„In den Giftschrank der Geschichte“, fordert der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald S. Lauder

Auch am Tag der Veröffentlichung melden sich sowohl kritische als auch befürwortende Stimmen. Grünen-Politiker Volker Beck rät zur Gelassenheit, befürwortet ähnlich wie Bildungsministerin Johanna Wanka eine Thematisierung in der Schule und hält es „im heutigen Kontext von Hass und Hetze durch AfD, Pegida und Co.“ für gefährlicher, „wenn Pirincci, Sarrazin und Elsässer neue Machwerke veröffentlichen“.

Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) nennt das Erscheinen der kritisch kommentierten „Mein Kampf“-Ausgabe hingegen „überflüssig“. Historiker und andere, die Zugang zu dem Buch bräuchten, hätten ihn bereits, so Lauder in New York. „Von diesem abscheulichen und giftigen Buch sind schon genug Exemplare gedruckt worden“, deshalb gehöre es in den „Giftschrank der Geschichte“.

Viel Zeit nimmt bei der Münchner Buchvorstellung die Diskussion über eine Abrechnung ein, die in der „Süddeutschen“ erschienen ist: Der britische Literaturwissenschaftler Jeremy Adler findet, „Mein Kampf“ dürfe nicht erscheinen, weil der Text das absolut Böse sei. Kritische wissenschaftliche Ausgaben seien großen Dichtern und Denkern vorbehalten. Institutsleiter Wirsching fragt nach der Alternative: Hätte man nichts machen und den Text nach dem Ablauf des Urheberrechts „vagabundieren lassen“ sollen? Die Rede vom absolut Bösen sei ein negativer Mythos, Wirsching setzt lieber auf „Erschließungsrationalität“. Ian Kershaw weist darauf hin, dass es durchaus Editionen von anderen Diktatoren gibt, von Stalin oder Mussolini oder auch Hitlers Reden. All diese Editionen seien nützlich, für die Forschung wie für die Pädagogik.

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