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Kultur: Mein lieber Schwan

Auf Tour mit neuer CD: Die Berliner Band Quarks zelebriert den Abschied

„Früher dachte ich immer, ich sei verrückt“, verrät Jovanka von Willsdorf. „Nächtelang saß ich in meinem Zimmer als Achtjährige, übte Akkorde auf der Gitarre und schrieb Texte. Ich brannte innerlich, weil ich wusste: Ich will in meinem Leben nichts anderes machen als Musik. Das war eine richtige Sucht.“ Eltern und Mitschüler behandelten sie wie eine Fremde. Aber sie blieb eisern. „Heute weiß ich: Nicht ich war der Geisterfahrer, sondern die anderen.“

Jovanka von Willsdorf sitzt in ihrem Proberaum in Prenzlauer Berg auf einer mintgrünen Couch und trinkt Kaffee. Sie trägt einen weißen Pullover mit grünen Mustern, darunter einen knappen Rock. Eine goldene Kette mit einem finnischen Kreuz hängt um ihren Hals – ein Geschenk ihrer ehemaligen Gesangslehrerin, das sie seit ihrer Jugend trägt. Weiße Stiefel mit Gummisohle, die ihr das Wippen zur Musik erleichtern, wärmen ihre Füße. Seit einer Woche ist Jovanka auf Tournee mit ihrer Band Quarks. Ihre Musik ist eine Mixtur aus elektronischer Popmusik, naturbelassenem Gitarrensound und Gesang. Anfangs in der Berliner Wohnzimmer-Szene beheimatet, steht Quarks heute für eine lieblich, melancholische Wehmut, die auch in die Charts drängt.

Vergleiche mit Berliner Größen wie 2raumwohnung oder Paula findet Jovanka lästig, aber sie akzeptiert sie. Sie blickt auf ihre Instrumente, die im hinteren Teil des Raums verteilt auf einem roten Läufer stehen und durch Lampen illuminiert werden, die kleine warme Lichtflecken an die Wand werfen. Wie eine Bühne hat Jovanka ihren Proberaum durchgestylt. In ihrer Tasche neben der Couch liegt ein Diktiergerät, das sie immer dabei hat. Denn Songideen fallen ihr überall ein – in der U-Bahn, beim Kochen oder im Restaurant. „Nicht ich suche die Texte und Melodien aus, sie suchen mich aus. Dafür muss ich vorbereitet sein“, sagt Jovanka. „Wenn sich eine Idee in meinem Kopf festsetzt, trage ich sie mehrere Tage mit mir herum, bevor sie Konturen gewinnt und zu einem Song heranreift.“

So lief das auch mit den Stücken ihres neuesten Albums „Quarksland“ (Home Records), musikalischen Oxymoronen: lieblich-naiv gesungene Texte über weniger niedliche Themen wie Liebesbesessenheit und Trennungsschmerz. Sanft haucht Jovanka von Willsdorf die Worte über melancholische Gitarren- und Keyboardsequenzen, die in experimentelle Elektro-Klangräume eingebettet werden. Nur selten klingen in „Quarksland“ rockige Töne an wie in „Blind Date With The Devil“, obwohl Jovanka ihre ersten Gehversuche mit aggressivem Punk machte. „Hauptsache laut – das war in der Anfangszeit meine Devise. Ich wollte gegen alle kämpfen, die mich nicht akzeptieren wollten. Die Musik war dabei mein Ventil“, so die Sängerin. „Doch je mehr mich meine Außenwelt liebte und respektierte, desto ruhiger wurde meine Musik.“ Mit 13 Jahren zeigten sich bei Jovanka erste Knötchen auf den Stimmbändern, weil sie zu laut und zu ruppig sang. Fortan nahm sie Gesangsstunden. Trotzdem meint sie: „Dieses ganze Handwerk überdeckt die Seele und die Geschichte hinter dem Lied, es macht aus allem dasselbe.“

Mit ähnlichem Widerwillen spricht die heute 35-Jährige über eine Zeit, in der sie in Hamburg mit einem Orchester „eine verunglückte Mischung aus Nina Hagen, Frank Zappa und altdeutschem Liedgut“ auf die Beine stellte. „Das war vielleicht für viele beeindruckend, aber mich berührte es nicht.“ Jovanka brach in Hamburg ab und kam 1995 nach Berlin. Den Musiker Niels Lorenz nahm sie mit und begann mit ihm ein neues Projekt: Quarks, benannt nach den kleinsten atomaren Teilchen im Universum. Zusammen mit Lorenz, der für „Quarksland“ zwei Songs komponiert und eingesungen hat, arrangierte Jovanka ihre Songs. Vier Alben brachten die beiden in den letzten acht Jahren heraus, darunter 2002 „Trigger Me Happy“, das in die Top-30 der deutschen Albumcharts einstieg. „Das war eine wichtige Zeit“, sagt die Sängerin. „Wir haben zusammen einen Musikstil entwickelt. Niels war für mich ein Schutzraum. Ich hatte die Ideen, und er machte meine Visionen wahr.“

Doch während der Produktion des aktuellen Albums merkte das einstige Liebespaar, dass sie musikalisch und persönlich nicht mehr zueinander passten. „Niels meinte“, erzählt Jovanka, „das ist nicht mehr meine, sondern ganz allein deine Platte.“ Und weiter: „Immer wieder wollte sich Niels von mir trennen. Wir mussten uns endlich fragen, wer und was Quarks eigentlich noch ist – so wie man sich in einer Freundschaft immer mal wieder vergewissern sollte, ob man noch befreundet ist.“ Jovanka von Willsdorf hat die Frage für sich beantwortet. Etliche Songs auf „Quarksland“ handeln vom Abschiednehmen. „Ich bin Quarks. Mit ganzem Herzen“, sagt sie jetzt selbstbewusst.

Auf dem Plattencover von „Quarksland“ ist ein Schwan mit zwei Hälsen abgebildet. Der schwarze Hals wendet sich deutlich von seinem weißen Zwilling ab. Ein Symbol für die Trennung, die Quarks durchlebt hat. „Schwäne sind melancholische Tiere, voller Anmut“, sagt Jovanka. „Nur sollte man sich niemals mit ihnen anlegen.“

Quarks, heute in der Berliner Pfefferbank (Schönhauser Allee 176 a)

Ramon-Ali Mirfendereski

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