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Kultur: Mein Schnupfen ist der Staat

über das Weiterleben der DDR Ein sonderbarer Tag: Man wacht auf und die DDR ist vorbei. Richtig vorbei.

über das Weiterleben der DDR Ein sonderbarer Tag: Man wacht auf und die DDR ist vorbei. Richtig vorbei. Im Fernsehen laufen keine erbaulichen Filmchen mehr über die vermeintlich „besten Jahre“ junger Menschen. Bei einem Zweitliga-Fußballspiel zwischen Cottbus und Essen kommt niemand auf die Idee, eine Schlacht um Ost-Symbole auszutragen. Und „Wendeliteratur“ wird ein historisches Genre sein. Ach, bis auf weiteres bleibt uns die DDR als Lebensbegleiter erhalten.

Interessant ist zurzeit die Frage, welche Generation die Deutungshoheit über das Geschehen im ostdeutschen Ländchen erringt. Antje Rávic Strube l (Jahrgang 1974) stehen ohnehin nur Kindheitserinnerungen zur Verfügung. Und sie ist klug genug, aus ihnen keine Kuschelstube zu zimmern. In „Tupolew 134“ (C.H. Beck) erzählt sie die Geschichte einer spektakulären Republikflucht mit einem nach Tempelhof entführten Flugzeug. Eigentlich aber geht es um die Suche nach einem anderen Leben, um Möglichkeiten von Liebe und um Verrat. Von der Qualität des Buches kann man sich übermorgen im Berliner Buchhändlerkeller (21 Uhr) überzeugen.

Einen schrillen Kontrast gibt es am 27.9. im Kesselhaus der Kulturbrauerei (Knaackstr. 97, 20 Uhr). Dort feiert der sieben Jahre ältere Thomas Brussig mit „Wie es leuchtet“ (S. Fischer) Premiere. Lustig geht es zu mit Reporter Leo Lattke und Lena, dem Mädchen mit dem „lässigen Namen“. Brussig, begnadet im Verramschen von DDR-Mythen, literarischer Subtilität aber nicht verdächtig, nimmt sich in seinem 600-Seiten-Wälzer das Wendejahr von der ungarischen Grenzöffnung bis zur Ankunft der D- Mark vor.

Denselben Zeitraum hat auch Thomas Rosenlöcher mit wachen Augen begleitet - im Tagebuch „Die verkauften Pflastersteine“ und zuletzt in „Ostgezeter. Beiträge zur Schimpfkultur“ (Suhrkamp). Dort beschreibt der 57-jährige Dresdner die „eher heitere Vereinigungstatsache“ und den „großen Ernst der Vergangenheitsaufarbeitung“. Das ist als polyphone Befreiung von der monolithischen Sprache deutsch-demokratischer Verlautbarungen zu verstehen. Rosenlöcher kommt am 23.9. ins Informations- und Dokumentationszentrum (Mauerstr. 38, 19 Uhr), um über die „Erinnerungen an einen untergegangenen Staat“ zu reden.

Jurek Becker war selbst in seinen legendären Postkarten an Manfred Krug noch ein großer Schriftsteller. Dass er dem als Briefschreiber kaum nachsteht, zeigt der Band „Ihr Unvergleichlichen“ (Suhrkamp). Zur Buchpremiere am 27.9. verlesen seine Witwe Christine Becker, Klaus Wagenbach, Vadim Glowna und Frank Beyer, was Becker zwischen 1969 und 1996 an Verleger, Freunde und Kollegen zu berichten wusste (Akademie der Künste, 20 Uhr). An Freunde aus Holland hatte Becker 1980 mit trockenem Humor geschrieben: „Ich arbeite gut, bin gesund, habe noch alle Zähne, meine einzige Krankheit ist die DDR.“ So drollig war wohl doch nicht, was heute oft als Unterhaltungslabel firmiert.

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