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Kultur: Mein Ton gehört mir

Das etwas andere Konzert: Wandelweiser in der Berliner Akademie der Künste

Das muss es wohl auch geben. Das Wetter ist nass und kalt, man hat sich mit dem Fahrrad durch die laute Stadt gekämpft, zum schützenden Dach der Akademie der Künste im verwunschen-kleinstädtischen Hanseatenweg. Hier ist es warm und trocken, es riecht nach frischem Cappucino und frischen Grass-Biografien. Mit dem guten Gefühl, für die Kunst gelitten zu haben, begibt man sich zu einer kleinen Gruppe Verschworener hinter die Bühne, um sich Wandelweiser-Musik anzuhören. Wandelweiser ist Verlag, internationale Komponistengruppe und CD-Label zugleich. Man hat sich den ästhetischen Prinzipien John Cages verschrieben und produziert auf Non-Profit-Basis, in der Erkenntnis, dass „Kunst im Allgemeinen für kommerzielle Verwertung durch gewinnorientierte Unternehmen kaum geeignet“ sei.

Zum zweiten Mal haben die Wandelweiser ein eigenes Festival in Berlin organisiert: mit sechs Konzerten an drei Abenden. Wer sich durch die lobenswert klar formulierten Programmnotizen gelesen hat, ahnt, dass es stille Veranstaltungen werden. Die Wandelweiser sind fasziniert von Cages Anschauung der Dauer, dem einzigen musikalischen Parameter, den Klang und Stille gemeinsam haben. Ihr zu Ehren gestatten sie nur so viel Harmonie, Rhythmus und Melodie in ihren Kompositionen wie unbedingt nötig. Es macht Spaß, die Versuchsanordnungen zu studieren, mit denen sie das Abstraktum erkunden. Gerne lässt man sich mitreißen, wenn sie rauschhaft die Schönheit hinter dem schabenden Einzelton preisen. Und für einen Moment lässt einem die Vision das Herz stocken, der Mensch könne im Namen der reinen Struktur jede Emotion aus seinen künstlerischen Äußerungen verbannen.

Die Musiker des Wandelweiser Komponisten Ensembles (Klavier, Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Cello, Marimba) treten auf, werden vorsichtig beklatscht und verbeugen sich ungelenk – das Ritual erscheint zu bürgerlich, aber man weiß nichts Besseres. Der Pianist spielt den ersten Ton, lässt den Finger auf der Taste liegen. Ein Klang zum Auskosten: ein dunkles Timbre, das wollige Kratzen seiner Obertöne, das sich verflüchtigt, bis die Geräusche im Surren der Bühnenscheinwerfer zu tanzen scheinen wie Eintagsfliegen. Noch immer nimmt der Pianist nicht den Finger von der Taste. Da plötzlich kocht die Ungeduld hoch: Muss man hier denn alles selber machen? Man muss.

Es wird ein Abend betont kunstlos ausgestellter Töne und Geräusche. Ein Abend, an dem das Überlappen zweier Klänge ebenso zum Ereignis wird wie die knallroten Schuhe des exakt in der Mitte des Ensembles platzierten Geigers; ein Abend, an dem eine Drei-Ton-Skala die Nachbarin zum Lachen reizt und der den Hörer mit seinen Assoziationen auf sich selbst zurückwirft. Je nach Stimmung und Veranlagung empfindet er die Begegnung mit sich selbst als bestrickend – oder als langweilig. Wer wollte darüber urteilen?

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