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Kultur: Meine Damen und Herren, Sie erleben eine Geburt

Nach zwanzig Jahren mit ihrem Pianisten Terry Truck erfindet sich Georgette Dee neu: als Liebeslied-Melancholikerin

Von Stephanie Nannen

Zu einem Treffen mit Georgette Dee zu spät gekommen, gehört zu den Dingen, die einem nicht passieren dürfen. Kein guter Start in ein Gespräch mit der deutschen Diseuse, männlichen Geschlechts, bei dem man dem Menschen hinter der Fassade der Künstlerin begegnen möchte. Sie zickt manchmal, heißt es, gilt als schwierig, wenn ihr eine Unterhaltung nicht gefällt. Und dann könnte sie jetzt ohnehin nervös und angestrengt sein, kurz vor der Uraufführung ihres neuen Programms „Just Love Songs“ im Berliner Tipi: Das erste Mal ohne Terry Truck, ihren musikalischen Partner, der sie zwanzig Jahre lang am Flügel zu Liedern von Friedrich Hollaender und Kurt Weill begleitet hatte und von dem sie sich nun getrennt hat. Das erste Mal mit ihrer frisch zusammengestellten Band, einem anderen Kostüm, als dem zum Markenzeichen gewordenen knöchellangen, schwarzen Samtkleid und einem neuen Repertoire und Sound.

Aber Umkehren ist keine Option und das italienische Restaurant an der Oranienstraße zumindest ein Ort, an dem man sich mit Köstlichkeiten gut trösten kann, sollte die „Diva“ nicht gewartet haben oder gleich aufstehen und gehen. Doch sie sitzt da, anscheinend entspannt, an einem Tisch in der Ecke, so, dass sie die Tür, das Fenster und die Menschen, die daran vorbeigehen, im Blick hat. Sie wirkt ruhig und gelassen, wehrt hastige Entschuldigungen ob der Verspätung freundlich ab und sagt, dass ihr das auch oft passiert, besonders wenn sie auf Tournee ist. Gar nicht zickig.

Georgette Dee trinkt Weißwein, raucht – Kette. Wie auf der Bühne. Natürlich ist sie nicht geschminkt, sie hat die blonden Locken zum Zopf gebunden, trägt Pulli statt Kleid, ist nicht Frau sondern Mann. Und trotzdem ist sie Georgette, wirkt nicht wirklich verändert. Auch drei Tage später nicht, als sie im bodenlangen, kaminroten Samtkleid, in Seidenstrümpfen auf die Bühne schreitet, wo die Band schon auf sie wartet. Sie hat eine Blüte im Haar. Das verwirrt, erinnert an Butterlecker-Schleife, und offensichtlich nicht nur das Publikum, sie wirkt gehemmt. Georgette – jetzt niedlich? Nein, sie singt vom „Mann in meinen Armen“, von Liebe, Sex und Schmerz und bricht die melancholischen Momente wie eh und je mit schnodderiger Ironie. Schnell, fast hektisch, versucht sie, die Wehmut, die sich in den Klängen des Akkordeon vermittelt, nicht überhand nehmen zu lassen. Sie hat ihren Tritt noch nicht gefunden, tupft sich schamhaft die Schweißtropfen über der Oberlippe, die großen, gepflegten Hände zittern, die Stimme auch. „Lampenfieber“, gibt sie zu. Das verfliegt, als sie weiter singt. Sie findet ihre Bewegungen, findet den Takt mit der Band und hat sich und das Publikum am Schluss intellektuell getrunken.

Noch in den letzten Tagen vor der Premiere hatte Georgette das Programm immer wieder umgestellt, Lieder ausgewechselt, zwölf Stunden täglich geprobt. Bereut sie die Trennung von Terry Truck am Ende doch? Würde sie nicht doch die Sicherheit, das aufeinander abgestimmte Arbeiten vorziehen? „Auf keinen Fall“, sagt Dee. „Ich habe das gewollt, es war der richtige Schritt. Zwanzig Jahre sind wirklich genug. Irgendwann entwickelt man sich nicht mehr weiter. Man muss nach vorn blicken, bevor man an diesem Stillstand zugrunde geht.“

Am Abend beim Italiener scheint es, als ruhe sie in sich selbst, als wäre sie geradezu erleichtert, Ballast abwerfen zu können. Wo die Reise hingeht, weiß sie nicht. „Ich bin auf der Suche. Es geht um den Moment und darum, dass ich mich mehr über meine Musik ausdrücke, als mich jedes Mal mit einer moralischen Message auf die Bühne zu stellen“, sagt Dee noch vor der Premiere. Als es so weit ist, wird sie unsicher. Nehmen die Fans sie noch an? „Ich kann die Leute nicht völlig verstören. Kann nicht ohne Kleid, mit kurzen Haaren und ohne Zigaretten auftreten. Da würde zu viel fehlen.“ Der Spagat ist sichtbar – nicht nur, weil sie nach der Pause im schwarzen Anzug zurückkommt. „Meine Damen und Herren, Sie erleben eine Geburt“, sagte sie am Anfang des Abends. Keine leichte, möchte man hinzufügen.

Georgette Dee & Band, „Just Love Songs“, Tipi, bis 16. Oktober, Mi-So 20.30 Uhr. Karten: 0180–3279358.

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