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Kultur: Meine stärkste Waffe ist die Liebe

Zynische Idealisten: R.E.M. spielen im Berliner Velodrom Protestsongs zum Mitlesen

Die Gitarren bratzen los. Drei Herren dreschen auf ihre Stahlsaiten ein, als würden sie eine Viehherde in ein viel zu kleines Gatter treiben. Das klingt hässlich und verschlammt, träge und wütend zugleich. Michael Stipes nach etlichen Reisewochen rau gewordenes Organ, gewinnt dieser Ochsentour auch nichts Positives ab. Er presst seine Stimme in dasselbe Gatter, so dass es darin immer enger, trostloser wird.

Mit einem Song des selten gehörten brachialen Rock-Albums „Monster“ eröffnen R.E.M. ihr Berliner Konzert im ausverkauften Velodrom – und die Menge steht eher reglos vor einer zäh-mergelnden Lärmwand. Drei weitere Songs wird es dauern, bis sich endlich die Konturen einer ersten betörenden Popmelodie aus diesem Rock’n’Roll-Brei schälen, die dem Rohen und Ungestümen des Auftakts eine andere Dimension geben.

„Lost in the moment, the day that the music stopped“, singt Stipe von jenem Augenblick, der das Tick-Tock des Alltags zum Stillstand gebracht hat. Gemeint ist die Zeitenwende des 11. September, der R.E.M. auf ihrem im Herbst erschienen Album „Around the Sun“ etliche Songs gewidmet haben. Auch „The Outsiders“, das wie ein melancholischer Lichtstrahl wirkt, den die Sonne durch eine geschlossene Wolkendecke schickt.

Es sind hässliche Zeiten zumindest für einen linken amerikanischen Intellektuellen, der, wie Stipe sagt, „das gesamte Rätsel von Idealismus-Zynismus“ seiner Generation mit sich herumschleppt. Ihren Stil behalten R.E.M. trotzdem bei. Glauben wollen, aber desillusioniert sein, ist eine für Rockmusiker anregende Schizophrenie. Die Band nutzt sie nun schon seit 25 Jahren, um immer wieder großartige Songs zu schreiben. Songs, die mit irrlichternder Poesie gegen die Gleichgültigkeit aufbegehren, gegen die Einseitigkeit und die dumpfe Ignoranz. Allerdings sind diese Auflehnungen blasser geworden, seit das Trio um den enigmatischen Sänger und Texter Michael Stipe einen durch den Ausstieg des Drummers Bill Berry erzwungenen Neuanfang machte. Immer häufiger kreiseln die Lieder nun durch seichte Gefilde und man hört Sätze wie „love is my strongest weapon“. Man hört sich das an, aber es fesselt nicht. Da ist die demonstrative Rückwendung zu einem Kracher wie „Monster“ auch ein Kommentar zur eigenen Lage. Am Ende, nach „Everybody Hurts“, „The One I Love“ und „Losing My Religion“, wird es denn auch wieder laut. Schwer wie Mühlsteine kriechen die Lärmungeheuer aus den Verstärkern.

Die Band will nicht verzaubern – was sie zweifellos könnte. Stipe, dessen Körpersprache von Vogelkundlern entschlüsselt werden mag, hat seine Augen mit einem breiten Farbstreifen geschminkt, der an Peter Pan erinnert (auch ein Vogelmensch). Das ist denn aber auch schon das Höchste an dramatischen Effekten. R.E.M. ist wohl die einzige Band, die vor ein Publikum in Stadiongröße tritt und so tun kann, als gebe sie ein Club-Konzert. Außer zwei Dutzend senkrecht schwebender Leuchtstangen, aus denen ständig wechselnde Farben herauszutropfen scheinen, und einer Videoleinwand beschränkt sich das Bühnengeschehen auf sechs Leute, die Musik machen. Die Songs haben einen ersten Akkord und einen letzten. Dazwischen wird es dunkel – bis zum nächsten ersten Akkord.

Nur einmal weichen Stipe sowie Gitarrist Peter Buck und Mike Mills am Bass von dieser spröden Dramaturgie ab. Da geht es um Amerika, ihre Heimat, für die sie Scham empfinden. „I Wanted To Be Wrong“ und „Final Straw“ sind für ihre Verhältnisse reichlich unverhohlene Unmutsbezeugungen, und damit das auch jeder versteht, werden deren Texte an die Decke projiziert. Nicht zum Mitsingen, sondern zur Verinnerlichung. Das aber hat stets noch am besten eine betörende Melodie geschafft.

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