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Jan Böhmermann

© Ben Knabe/ZDF/dpa

Meinungsfreiheit: Die Macht der Worte

Schimpfen, Schmähen, Schlechtreden: Sprache kann zur Waffe werden. In der Causa Böhmermann wird sie zum Bumerang

Von Caroline Fetscher

Klar war, dass es so kommen würde. Der Fernsehkomödiant Jan Böhmermann sagt Auftritte ab, Polizisten müssen ihn schützen. Seine Schmähorgie wider den türkischen Präsidenten, zur Staatsaffäre ausgeweitet, kostet derzeit tausende Medienminuten und Zeitungszeilen sowie einen Haufen Steuergelder. Jetzt beauftragte die Bundeskanzlerin die Justiz, die Anzeige wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“ zu prüfen. Gleichzeitig stellte sie die Abschaffung des verstaubten Paragrafen in Aussicht. Die Zivilklage gegen den ZDF-Moderator wegen Beleidigung wäre auch ohne diesen Paragrafen möglich. Recep Tayyip Erdogan kennt in Sachen Spaß keinen Spaß.

Seit er sein Amt antrat, soll er im eigenen Land an die 2000 Verfahren wegen Beleidigung angestrengt haben. In der Türkei werden Intellektuelle inhaftiert, Medien zensiert, Häftlinge gefoltert. Beschuldigten droht dort weitaus mehr als einem, der in den öffentlich-rechtlichen Medien des deutschen Rechtsstaats als Fernsehkasper auftritt wie der 35-jährige Böhmermann. Dessen Sottisen bieten Erdogan eine Steilvorlage für die autokratische Sultanpose: Seht her, das ist westliche Meinungsfreiheit! Rassistische Beleidigung, Entwürdigung – das ist bei denen erlaubt! Der türkischen Opposition hat die ZDF-Sendung jedenfalls einen Bärendienst geleistet. Dieser Klamauk hat den Potentaten, nämlich Erdogan, stabilisiert, und die Demokratin, nämlich Merkel, destabilisiert.

Infantile Invektiven verkleiden sich als satirische Lyrik

Worte haben Macht, sogar leichtsinnige Worte ohne Gewicht. So auch das „Schmähgedicht“ Böhmermanns im „Neo Magazin Royale“ des ZDF, eine Mischung aus Latrinenparolen, ethnischen Stereotypien und zynischem Spott über religiös begründete Sexual- wie Speisetabus. Serviert wurde der toxische Cocktail, ausdrücklich auch an türkisches Publikum adressiert, mit einem Vorbehalt, der ihn gewissermaßen als Satire 2.0 markieren sollte: „Was jetzt kommt, das darf man nicht machen. Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das wäre in Deutschland verboten.“ Es folgten Verse wie dieser: „Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinefurz riecht schöner.“ Der Geschmähte konsumiere „Kinderpornos“, würde „Ziegen ficken“ und Frauen vergewaltigen, sei „pervers, verlaust und zoophil“. Infantile Invektiven verkleideten sich als satirische Lyrik.

Zu den bisher erstaunlich raren Kritikern zählt neben dem Autor Wolfram Schütte, der auf die „juristisch fixierte Balance“ zwischen „öffentlicher Meinungsäußerung als Kritik und dem gesellschaftlichen Schutz der individuellen Person vor beleidigenden Herabsetzungen“ hinwies, der Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate. Er stellt fest, dass „solche Art angeblicher Satire ihren Zweck verfehlen muss, da sie im Ergebnis nicht zu vertieftem Nachdenken anregt, sondern eher eine Art verbaler Lynchjustiz darstellt und der allgemeinen Schadenfreude das Wort redet“.

Am Sendetag der fragwürdigen Dichtkunst Böhmermanns, dem 31. März, wurden zwei weitere Fälle höchst unterschiedlicher Wortebewertungen gemeldet. Einmal ging es um die vielleicht teuersten Worte der Gegenwart, ein andermal um deren womöglich mörderischste. In einem Fall war die Strafe enorm hoch, im anderen lautete das Urteil Freispruch.

Falsche Worte können sehr teuer werden

Am 31. März wurde bekannt, dass Rolf Breuer, ein früherer Chef der Deutschen Bank, für die Folgen seiner Äußerungen über die Mediengruppe Kirch, seinen ehemaligen Arbeitgeber, 3,2 Millionen Euro aus eigener Tasche zahlt – neben 90 Millionen von der Versicherung. Anfang 2002 hatte Breuer in einem Fernsehinterview bezweifelt, dass die Kirch-Gruppe kreditwürdig sei. Die fatale Passage hatte insgesamt 28 Wörter. Wenig später stürzte das Kirch-Imperium in die Pleite. zwölf Jahre dauerte die Prozessschlacht um Schadensersatz. Jedes einzelne Wort der Passage kostete die Großbank am Ende mehr als 33 Millionen Euro. Hier hatten Worte nicht einen Menschen entwertet, sondern einen Konzern. Teurer wird es nicht.

Am 31. März meldeten die Nachrichten ebenfalls den Freispruch für Vojislav Seselj, einen Wortführer serbischer Nationalisten in den jugoslawischen Zerfallskriegen, am Internationalen UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien. Die Anklage warf Seselj insbesondere vor, seine exzessiven Hetzreden gegen Kroaten, Muslime und Albaner als „historische Feinde“ Serbiens hätten zu Kriegsverbrechen beigetragen. Gegner der Serben würden auch mit rostigen Schuhlöffeln umgebracht, hatte Seselj etwa 1991 in einer Fernsehshow empfohlen, „damit bei der Autopsie nicht kenntlich wird, ob es Mord oder Tetanus war“. Später nannte er das „schwarzen Humor“. Im Mai 1999 erklärte er zum Kosovo: „Die einzigen Albaner, die es verdienen, am Leben zu bleiben, sind die, die Serbien als ihr Vaterland anerkennen.“ Die Mitschuld des Angeklagten sei nicht präzise nachgewiesen worden, so die Richter. „Verstörende Reden“ allein reichten dafür nicht aus. Die meisten Experten nehmen an, dass die Staatsanwaltschaft mit Erfolg in Revision gehen wird.

Purer Zufall ist die zeitliche Koinzidenz des 31. März, doch gut geeignet, die unterschiedliche Bewertung diffamierender Sprechakte zu erkennen. „Hass spricht. Zur Politik des Performativen“ lautet ein berühmter Buchtitel der Philosophin Judith Butler. Diskurse, so Butler, sind Modus der Konstruktion sozialer Wirklichkeit. Indem Sprache ordnet und kategorisiert, produziert sie die Art, wie wir denken und wahrnehmen. Alles Reden, auch rassistisches, sexistisches oder homophobes, hat seinen Ursprung nicht allein in den Sprechenden, sondern in der Gesellschaft, die jeweils für sich definiert, wie und was sie als hate speech ahndet.

Martin Luther (1483-1546)
Martin Luther (1483-1546)

© picture alliance / dpa

Dass Worte schwere, teure, üble oder aufklärerische Konsequenzen haben können, erfährt nicht erst die Mediengesellschaft mit ihrer millionenfachen Reproduzierbarkeit aller Texte und Bilder. Couragierte, auch satirische Kritik, kann an Diktaturen rütteln, mutige Aussagen von Forschern und Denkern wie Galileo Galilei, Kopernikus und Giordano Bruno erschütterten das herrschende Weltbild eines herrschenden Klerus. Dichter und Schriftsteller endeten in Haft oder mussten, wie Salman Rushdie, vor der „Fatwa“ von Fanatikern flüchten. Luther brachte ein einzelnes Schmähwort in einem Intrigenkrimi derart auf, dass er Dutzende von Seiten dagegen anschrieb. Als „Hans Worst“ (Hanswurst) habe Luther seinen Landesherrn und Freund Johann Friedrich, den Kurfürsten von Sachsen, lächerlich gemacht, behauptete der katholische Herzog Heinrich von Braunschweig zu Wolfenbüttel: Das sollte einen Keil treiben zwischen die beiden wichtigsten Reformatoren.

Mit seiner Schmähschrift „Wider Hans Worst“, 1541 verfasst, wehrte sich der Theologe so explosiv, dass die Sätze an die Adresse von Herzog samt Sohn förmlich vom Blatt springen. „So seid ihr beide die rechten Hans Worst, Tölpel, Knebel und Rülze (…) verzweifelte, ehrlose, verlogene Böswichter“. Das Papsttum mitsamt „Klösterei“, Ablasshandel und „falscher Heuchelkeuschheit“ gehöre zum „ärgesten Stankgemach des Teufels“. Daher: „Des Papsts neuen Kirchen, im Hintern gesteckt“, eine Kirche „voller Lügen, Teufel, Abgötterei, Hölle, Mord und alles Unglück, dass es wimmelt“, eine „abtrünnige, verlaufene Ehehure, eine Haushure, eine Betthure, (…), dagegen die gemeinen, freien Huren, Landhuren, Heerhuren, schier heilig sind“. Als Starkredner ging Luther gegen das Schmähwort vor, das ihn und sein Projekt der Reformation die Existenz hätte kosten können.

Satire könnte sich jetzt wieder repolitisieren

Wie teuer kann die umstrittene ZDF-Satire werden? Sehr teuer, wenn die zivilisierende Substanz von Artikel 1 des Grundgesetzes beschädigt wird, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Sollte der jetzt öfter „edukatorisch“ genannte, rahmende Vorbehalt Böhmermanns quasi als Rechtsschutz und Risikoversicherung akzeptiert und nicht als die Perfidie gelesen werden, die er darstellt, wäre der Artikel 1 real in Gefahr. Jeder Antisemit und Neonazi dürfte seine hate speech, derart gerahmt, öffentlich zur Satire nobilitieren. „Was jetzt kommt, liebe Juden, das zu sagen, ist strafrechtlich relevant!“, oder: „Asylantenheime anzünden, nein, das ist verboten, man darf also nicht ...“ Zynisch zwinkernd würde der Neo-Satiriker beteuern: „Ich wollte doch nur auf lustige Weise Gesetze erläutern.“

So weit wird es hoffentlich nicht kommen. Dem aktuellen Hype in der Begeisterung über Rede- und Meinungsfreiheit wird auch hier die Debatte über Inhalte folgen, und über die Frage, welche Freiheit es zu verteidigen gilt. Satire könnte sich dabei repolitisieren. Kurt Tucholsky, der dieser Tage viel zitiert wird mit seinem Votum, Satire dürfe „alles“, sagte übrigens auch: „Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.“ Für „Deutschland“ ließen sich heute mühelos andere Länder einsetzen.

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