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Kultur: Meisterbeschwörung

Georg Baselitz zeigt Remix-Arbeiten in Berlin bei Contemporary Fine Arts

Baselitz ist „back in town“. Gern ist er allerdings nie hier gewesen. Nicht als Student in der Kunsthochschule Weißensee, von der er achtkantig flog und darauf die DDR verließ. Nicht als junger Maler im Westteil der Stadt, wo er mit dem provozierenden Gemälde „Große Nacht im Eimer“ den Zorn der Staatsanwaltschaft auf sich zog. Und auch nicht als etablierter Künstler und mittlerweile selbst Lehrer an der Universität der Künste, wo er nach dem Mauerfall die aus Osteuropa kommenden Talente allzu schnell gen Paris und New York weiterziehen sah.

Nein, mit Berlin ist Baselitz noch lange nicht im Reinen, auch wenn er bei Contemporary Fine Arts die erste Galerieausstellung seiner „Remix“-Bilder zeigt, mit denen er zunächst in der Münchner Neuen Pinakothek und nun in der Wiener Albertina für Furore sorgt. Von jetzt auf gleich redet sich Baselitz in Zorn, wenn er auf Berlin angesprochen wird, diese „ignorante Bonzenrepublik“, wo die Neue Nationalgalerie bis heute kein einziges Bild von ihm besitzt. Ganz will die Schimpfkanonade nicht zur heiteren Stimmung jenes Bildes passen, vor dem er gerade steht und das nun in den Besitz eines Berliner Privatsammlers übergeht.

Von seiner Peinture, seiner Farblichkeit strahlt das Werk eine Jugendfrische und Leichtigkeit aus, die gleichwohl im Widerspruch zum Thema des Gemäldes steht. „Nachtessen in Dresden (Remix)“ lautet der Titel des 3,05 mal 4,50 Meter großen Bildes, das eine Begegnung der „Brücke“-Maler Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff mit Edvard Munch in ihrer Mitte zeigt. Baselitz beschwört den Geist des Expressionismus, auch wenn er sich keineswegs in dessen Tradition sieht. „Das war eine große Zeit“, sagt er schlicht zur Erklärung. Vor allem aber ist dieses „Nachtessen“ die Wiederauflage einer Version von 1983, die heute im Kunsthaus Zürich hängt. Anders als das Vorgängerbild ist das 2006 entstandene Remake mit leichter Hand, mit großem Schwung gemalt. In der Linken hielt Baselitz eine Reproduktion der Erstausgabe, in der Rechten den Pinsel. Die Leinwand hing nicht an der Wand, sondern lag diesmal flach am Boden. Der Malprozess von wenigen Stunden, höchstens zwei Tagen hat den „Remix“-Bildern bereits die spöttische Bezeichnung „Baselitz light“ eingetragen.

Den 69-Jährigen schert das wenig; für ihn ist die Revision seiner wichtigsten Werke nur der konsequent nächste Schritt, nachdem er sich in den letzten Jahren an Figuren aus seiner Biografie, seiner ostdeutschen Heimat, der Kindheit und Schulzeit abgearbeitet hat. Nun greift er auf die Bilderstationen seiner Karriere zurück, die „Helden“, die „Trümmerfrauen“, die „Orangenesser“ und natürlich den onanierenden Knaben von der „großen Nacht im Eimer“, dessen Geste heute kaum noch provoziert und der vielleicht deshalb in der aktuellen Variante ein Hitlerbärtchen trägt.

Der Künstler beschreibt diese Methode als ein „Blättern im Familienalbum“, zu dem er mit all seiner Sentimentalität steht. Und doch ist es mehr: eine kühne Reflexion seines in vier Jahrzehnten geschaffenen Werks, die ihresgleichen sucht. Denn das hat der Meister vor seiner künstlerischen Reise in die Vergangenheit noch geklärt: dass er mit einer solch grundsätzlichen Revision der Erste ist. Und das heißt für einen Siegertypen wie Baselitz, der Erste in der Kunstgeschichte zu sein. Auch Dix, Munch, Picasso haben sich im Alter bestimmte Motive wieder vorgeknöpft, aber keiner von ihnen hat so konsequent sein gesamtes Werk durchforstet.

Bei Contemporary Fine Arts zeigt Baselitz nun seine allerneueste Produktion unter dem Titel „The Bridge Ghost’s Supper“, ergänzt um 38 Tuschezeichnungen im Format 66 mal 50 Zentimeter (je 25 000 Euro). Sie greifen Einzelmotive des Hauptbildes auf, vornehmlich Schuhe, für die Baselitz in seinen Bildern schon immer eine Schwäche besaß. Doch nicht vier Paar, sondern nur drei Paar Füße ragen auf dem „Nachtessen in Dresden (Remix)“ in die Luft, wie es bei den kopfüber gemalten Bildern von Baselitz üblich ist. Schmidt-Rottluff und Heckel verschmelzen ab Gürtellinie zu einer einzigen Figur. Im Vergleich zu Kirchner waren sie auch künstlerisch von schwächerer Statur, lautet die Erklärung für diesen siamesischen Auftritt.

Kirchner dagegen ist durch Pickelhaube und Cowboy-Stiefel pointiert. Die Pickelhaube ist für den Kriegsteilnehmer Kirchner belegt, sein sporenbewehrtes Schuhwerk dagegen eine Laune von Baselitz, der damit auf einen anderen Dresdner verweist, Karl May, der für ihn die amerikanische Freiheit symbolisiert. Im Zentrum der Tischgesellschaft residiert Munch, für den Maler ein Zentralgestirn. Allerdings fehlt diesmal der Tisch. Stattdessen prangt eine schwarze Hand in der Luft, die der Maler wiederum aus einem Dix-Bild zitiert. Sie zeigt im Schattenriss die Figur eines Wolfs, ein Verweis auf den Vater von Baselitz, der seinen Sohn als Kind mit diesem Spiel immer wieder erfreute.

Ganz offensichtlich will sich hier ein Routinier in seinem Alterswerk belohnen – mit frischer Malerei, Anekdotischem und dem Beweis, dass er noch längst nicht abgemeldet ist. Dazu gehört auch kokettes Posieren in der Galerie mit dem DDR-Gruß der jungen Pioniere – Seite an Seite mit Jonathan Meese und Daniel Richter, den Stars von Contemporary Fine Arts. Der Künstler ist da ganz Stratege: Wenn schon mit seiner Kunst in der Hauptstadt gehandelt wird, dann bitte nicht nur mit Werken aus dem „secondary market“, sondern nach seiner Wahl. Denn sein „Mahl der Brücke-Geister“ ist trotz aller Schimpftiraden auf Berlin zugleich ein Werben um die Stadt, die Baselitz in seiner Laufbahn immer schon einzunehmen versucht hat.

Contemporary Fine Arts, Sophienstr. 21, bis 24. März; Dienstag bis Freitag 10–13 und 14–18 Uhr, Sonnabend 11–17 Uhr.

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