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Die Japanerin Yuka Morishige und ihr britischer Mentor Paul Lewis lieben beide Schubert - und proben in der Orangerie des Schlosses.

© Thilo Rückeis

Meisterkurs bei Paul Lewis: Mit der Schönheit innig verbunden

Im Schlosspark Glienicke gibt Paul Lewis bei einer Sommerakademie sein Wissen weiter. Ein Besuch in der Meisterklasse.

Unter das Vogelgezwitscher im Schlosspark Glienicke legen sich leise Klaviertöne. Nähert man sich der Orangerie, die eingerahmt von hohen Laubbäumen etwas abseits vom Schloss liegt, werden die Töne immer deutlicher. Am Kopfende des lichtdurchfluteten Raums stehen zwei Flügel. Zuhörer sitzen in den Stuhlreihen, eine Frau lehnt sich mit ihrem Kopf an den Stuhl vor ihr, hat die Augen geschlossen. Schuberts Klaviersonate A-Dur D 959 füllt voller Lebensfreude die Orangerie.

Die Japanerin Yuka Morishige spielt sie an einem der Flügel. Immer wieder fallen ihr dabei die schwarzen Haare über die Schulter, wenn sie ihren Kopf zur Musik schwungvoll hin- und herbewegt. Ihr Gesicht, das nach unten in Richtung ihrer Hände gebeugt ist, bleibt meist verborgen. Sie spielt das Stück ohne Noten, sie hat es auswendig gelernt: „Das musste nicht sein, aber so kann ich mehr mit meinem Körper spielen, mehr aus meiner Vorstellung dazugeben”, erklärt sie später. Gut zwei Wochen hat sie gebraucht, um die Sonate frei und ohne Vorlage zu beherrschen. Neben ihr, an einem weiteren Flügel, sitzt ein Mann in blauem Jeanshemd, seine schwarzen Locken haben feine, graue Strähnen. Er schaut konzentriert in die Noten, während Yuka Morishige spielt. Als sie fertig ist, verziehen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Die Zuhörer und Morishige selbst auch atmen erleichtert auf. Es gibt Applaus für die 28-jährige Klavierschülerin.

„Bravo”, sagt der Mann am Flügel neben Morishige. Es ist der britische Pianist Paul Lewis. „Erzähl mir etwas über den Charakter dieses Stücks.” Im Rahmen der Edwin-Fischer-Sommerakademie befassen sich seit 2009 jeweils sieben ausgewählte Pianistenschüler mit Werken der Klaviermusik. Angeleitet werden sie von einem Meister seines Faches, in diesem Jahr von Paul Lewis. Hier, an diesem Ort sei man „mit der Schönheit verbunden. Das wirkt sich auf die Musik aus”, erklärt der Starpianist begeistert. Und ja, schön ist es. Sieht man aus dem Fenster der Orangerie, schaut man auf den Turm des Schlosses, einen Campanile, der gedanklich in den Süden katapultiert. Kurz vor der Grenze zu Potsdam baute sich Carl von Preußen sein Sommerschloss.

Der Pianist Paul Lewis versteht sich weniger als Lehrer denn als Berater

Der Ort und auch der Lehrer sind für Yuka Morishige fast schon magisch. Die 28-Jährige, die an der Universität der Künste im Master Klavier studiert, hatte auf Youtube ein Video des britischen Pianisten gesehen. Als Schubert-Fan – ebenso wie Lewis – war ihr schnell klar, dass sie für die Meisterklasse ein Werk des österreichischen Klassikers einstudiert. Lewis geht ihre Interpretation mit ihr durch, macht sie auf Details aufmerksam. „Das hört sich ein wenig schnell für mich an”, erklärt er an einer Stelle. Er setzt selbst an, spielt es in seinem Tempo. Als Morishige es dann noch mal spielt, schließt Lewis die Augen, zieht die Augenbrauen hoch: „Ah, ja, so ist es gut.” Als Lehrer sieht der 44-Jährige sich aber nicht. „Ich fühle mich nicht so, als würde ich etwas an die Schüler weitergeben wollen. Ich möchte sie mit der Musik verbinden. Sie sollen herausfinden, was sie dann damit tun wollen“, erklärt Lewis. „Wenn ich Dinge vorschlage und die Schüler das nicht mögen, dann ist das auch in Ordnung. Es muss letztlich von ihnen kommen.”

Der Nächste bitte: Jetzt arbeitet Paul Lewis mit Michail Kandashvili an Liszts h-Moll-Sonate.
Der Nächste bitte: Jetzt arbeitet Paul Lewis mit Michail Kandashvili an Liszts h-Moll-Sonate.

© Thilo Rückeis

Und tatsächlich: Viel mehr wirkt der Starpianist wie ein Berater. Er schaut in die Noten, lauscht der Musik, lässt sich von ihr mitreißen, bewegt die Arme, macht ausladende Bewegungen. Man merkt ihm an, dass die Musik seine Leidenschaft ist: „Das ist eine sehr intensive Erfahrung für mich hier. Und es ist eine Erfahrung, die ich auch wirklich machen möchte”, so Lewis. Schließlich „berät” er sieben Talente am Tag. Jeder der Schüler hat am Freitag und am Samstag eine Unterrichtseinheit mit Lewis, bevor am Abend des zweiten Tages ein Konzert den krönenden Abschluss darstellt.

Nach Schloss Glienicke eingeladen hat Alexander Untschi, Gründer der Edwin-Fischer-Sommerakademie. Leidenschaftliche Begeisterung – das beschreibt Untschi wahrscheinlich am besten. Spricht er über seine Sommerakademie und die sieben Schüler, sieht und hört man ihm an, wie glücklich ihn das macht. Beim Erzählen hält er immer wieder inne und lauscht den Klaviertönen, die aus der Orangerie zu ihm auf die Bank neben dem Gebäude dringen. Ein erfülltes Lächeln umspielt dann seine Mundwinkel.

Untschi kennt Paul Lewis schon lange, die beiden sind befreundet. Er passe einfach in die Sommerakademie, die nach dem Schweizer Pianisten und Dirigenten Edwin Fischer benannt ist: „Jeder der Schüler bringt irgendwas mit – auch Defizite –, und Paul zeigt ihnen diese auf eine wunderbare Art. Er ist keiner, der draufhaut.” Worum es bei der Sommerakademie wirklich gehe, das sei die Musik. Jetzt sitzt Untschi ganz still auf der Bank. Er vergleicht die Schüler mit Schauspielern, die die Musikstücke, die sie spielen, ebenso wie eine Rolle gestalten müssen. Paul Lewis solle Impulse liefern. Beim Erzählen pikst er sich mit seinem Zeigefinger in den Arm: „Manchmal entstehen dann Sterne und manchmal verpuffen sie”, sinniert Untschi.

Die Glienicker Sommergäste kommen aus China, Japan, Georgien...

Die Unterrichtsstunde von Yuka Morishige ist zu Ende. Jetzt geht Mikheil Kandashvili durch den Mittelgang zwischen den Stuhlreihen zu den beiden Flügeln, zu Paul Lewis. Wolken sind vor die Sonne gezogen. In der Orangerie riecht es wie in einer Kirche, nach einer Mischung aus Kerzenwachs und Weihrauch. Kandashvili ist aufgeregt. Er erzählt Lewis, dass er mit dem Fahrrad gekommen sei. „Um den Blutdruck hoch zu bekommen?”, fragt der Brite und lacht. Kandashvili wird ruhiger und setzt zu Franz Liszts h-Moll-Sonate an. Fast eine halbe Stunde spielt er, sein Körper ist angespannt, der Kopf bewegt sich im Rhythmus. Wie schon seine Vorgängerin braucht er auch keine Noten: „Auf die Notenblätter zu schauen, irritiert mich. Deswegen spiele ich lieber frei”, erklärt der Georgier, der in Wien studiert.

Er ist nicht der Einzige, der eine weite Anreise hat. Die sieben Glienicker Sommergäste kommen aus China, Japan, Weißrussland, Armenien, Georgien und Deutschland. So viele verschiedene Nationen, das freut Alexander Untschi besonders. Er möchte mit seiner Akademie internationale Musiker nach Potsdam holen. In den 1920er Jahren ging es hier kosmopolitisch zu, Edwin Fischer unterrichtete am „Deutschen Musikinstitut für Ausländer“. Ein Vorbild für Untschi: „Da möchte ich wieder hin.” Seine Sommerakademie ist ein beherzter Schritt in diese Richtung.

Julia Müller

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