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Kultur: Mekka Berlin

Warum die neue deutsche Popmusik in der Welt einen immer besseren Ruf hat – und die Branche trotzdem nichts wagt

Es ist verblüffend – und hier weitgehend unbekannt –, wie stark sich der Ruf der neuen deutschen Popmusik (Indie und Elektronik) im Ausland verbessert hat. Früher waren England und Amerika die absoluten Trendsetter. Doch da dort keine neuen Trends mehr geboren werden und Musik kaum noch in kleinen, abgeschiedenen Szenen vorgelebt wird, haben sich die Schwerpunkte verschoben. Plötzlich gilt Berlin als ein Mekka, wo Musik nicht aus kommerziellem Interesse entsteht, sondern weil es Lebensart ist. Dabei wird gerne übersehen, wie hart in Wirklichkeit am Material gearbeitet werden muss, um sich als Musiker durchzusetzen.

Ich zum Beispiel bin kein Zukunftsträumer, eher der Typ, der im Moment lebt. Ich will Ideen sofort realisiert sehen und gehe alles Schritt für Schritt an. Es geht auch nicht anders bei meinen drei Hauptbeschäftigungen, bei denen sich alles um Musik dreht. So habe ich das Label „Monika Enterprise“ gegründet, weil Musik, die mir wichtig war, damals von niemandem sonst verstanden wurde. Ich mache einmal in der Woche die Radiosendung „Oceanclub“, lege in Clubs auf und programmiere eigene Musik. Aber all das schließt sich nicht aus, im Gegenteil: Es befruchtet sich gegenseitig. Denn Platten, die mir als RadioDJ zugeschickt werden, geben mir auch Ideen für die Bands, die ich betreue.

Anders als ein Musikkonzern verstehe ich mich wie eine Galeristin. Innerhalb der unabhängigen Szene existiert eine rohe Infrastruktur, die mehr ist als nur ein Netzwerk. Zuletzt haben wir eine DVD mit Konzertmitschnitten von „Monika“-Musikern herausgebracht. Wir riefen über unseren E-Mail-Verteiler dazu auf, Party-Ideen vorzuschlagen. Freunde, Fans und Clubs auf der ganzen Welt organisierten daraufhin zeitgleich eine gigantische Release-Party, die sich wegen der Zeitverschiebung über 24 Stunden erstreckte: in einem Wohnzimmer in Gießen, einer Galerie in Peking, einer HiTech-Bar mit sieben Monitoren in Tokio, einem Kino in Warschau, einem Pool in Orlando, Florida. Eine Welttournee an einem Tag!

Im übrigen finde ich die Fantasie- und Mutlosigkeit der Musik- und Medienbranche schlimm. Wir bräuchten mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung. Es wirken immer noch die alten Reflexe aus der Zeit, als Deutschland ein Pop-Entwicklungsland war. Erst wenn etwas anderswo erfolgreich ist, wird dasselbe auch hier anerkannt. Das ist erbärmlich. So werden die Erfinder meist erst belohnt, wenn sie tot sind. Man sollte die Werte pflegen, die man hat, so lange sie da sind. Ein guter Künstler muss nicht einen anderen nachmachen können, muss nicht die Songs fremder Komponisten singen können (siehe: Deutschland sucht den Superstar), sondern etwas Eigenes schaffen.

Menschen bezahlen ihr Brot, das sie sich beim Bäcker besorgen. Aber sie zahlen nicht für Musik, die sie genau so selbstverständlich konsumieren. Musik, die man sich irgendwo umsonst beschafft, wird nicht mehr als Bereicherung empfunden, man nimmt sie einfach mit. Und das Ganze wird dann auch noch mit dem Bohlen-Wort, „Geiz ist geil“ gerechtfertigt. Dabei ist Popmusik einer der direktesten und schnellsten Spiegel unserer Zeit und verändert sich ständig, verschönert und erleichtert unser Leben. Sowas tut erst weh, wenn es weg ist. Schon jetzt haben Plattenläden Angst, neue, unbekannte Künstler in die Regale zu stellen.

Nach meinem Kunstglück befragt, zögere ich mit einer Antwort. Vielleicht: Erfolg. Ich möchte gerne, dass Künstler, die ich für mein Label unter Vertrag nehme, Gehör finden. Das haben sie verdient. Aber ich möchte auch selbst gerne mal wieder eine Platte machen. Und ich möchte mit dem Oceanclub ins Fernsehen. Man muss ja alles selber machen.

Gudrun Gut hatte mit Malaria 1982 einen Indie-Hit („Kaltes, klares Wasser“), zählte zur Ur-Besetzung der Einstürzenden Neubauten, macht heute mit Thomas Fehlmann „Oceanclubradio“ (Radio Eins) und betreibt Monika Enterprise, ein führendes Berliner Indielabel, das u.a. Barbara Morgenstern, Contriva, Komëit und Cobra Killer herausbringt. Foto: Kerstin Anders

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