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Kultur: Melancholie im Speckmantel

Seine Welt ist rund. Die Menschen in ihr sehen aus, als hätten sie gerade eine mehrjährige Sahnetrüffelmast absolviert, und die Möbel, Vasen und Blumen wirken wie aufgeblasene Badewannenspielzeuge aus quietschbuntem Plastik.

Seine Welt ist rund. Die Menschen in ihr sehen aus, als hätten sie gerade eine mehrjährige Sahnetrüffelmast absolviert, und die Möbel, Vasen und Blumen wirken wie aufgeblasene Badewannenspielzeuge aus quietschbuntem Plastik. Es ist eine paradiesisch kindliche Welt ganz ohne Blut, Schweiß und Tränen, die sich Fernando Botero seit beinahe einem halben Jahrhundert mit nunmehr über 2000 Gemälden, dazu noch etlichen Zeichnungen und Skulpturen, eingerichtet hat.

Im Jahr 1955, so will es die Legende, die sich schon jetzt um den berühmtesten lebenden Maler Lateinamerikas rankt, entstand diese Welt aus dem kleinsten aller Bildelemente: Ein bloßer Punkt war es, den der junge kolumbianische Maler anstelle des Schalllochs in die Mitte einer gerade gemalten Mandoline setzte - und siehe da, der bauchige Instrumentenkörper schien sich aufzublähen wie ein frisch gegangener Hefeteig. Der Botero-Stil war geboren, der Punkt wurde in seiner vollkommenen Rundung gewissermaßen zum Samen einer Bilderwelt, in der die Körperlichkeit der Fläche sich die Kanten untertan gemacht hat. Innerlich wie äußerlich: Das Volk Boteros, seine Diktatoren, und Madonnen, seine behaarten Gigolos und rosigen Prostituierten blickten aus ihren kleinen dunklen Augen mit einer unerschütterlichen Indifferenz, die Fettmassen scheinen die Körper wie schützende Panzer zu umlagern und keine Gefühlswallung hinein- oder hinauszulassen.

Denn bei aller Skurrilität besitzen Boteros Figuren doch ein entscheidendes Element, das sie von bloßen Karikaturen unterscheidet: Ein Geheimnis, das als kaum greifbare Ahnung hinter der verzerrten Wulstigkeit einer spanischen Infantin nach Velazquez ebenso verborgen ist wie hinter der stoischen Fassade einer rundlichen Madonna - als hätte die Volkskunst der Indios nicht nur die Spur ihrer bunten Farbigkeit und naiven Formpracht, sondern auch ihre unergründliche Melancholie hinterlassen.

Es waren vor allem diese Porträts und verfremdeten Gesellschaftsszenen, mit denen Fernando Botero in den sechziger und siebziger Jahren zu einem der weltweit führenden und höchstbezahlten Maler wurde - bis heute stehen seine nicht weniger schönen Stillleben, die zweite umfangreichere Gattung in seinem Werk, in der Publikumsgunst zurück. Heute wird Botero, dessen Werk in den letzten Jahren ein wenig an Abgeklärtheit gewonnen hat, 70 Jahre alt. Ein runder Geburtstag.

Jörg Königsdorf

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