zum Hauptinhalt

MELODRAM VON FRANÇOIS OZON„Angel“: Schmetterlinge sterben nicht

Ein Mädchen in der Schuluniform des 19. Jahrhunderts schaut durch die Gitterstäbe eines Tors in die Welt dahinter.

Ein Mädchen in der Schuluniform des 19. Jahrhunderts schaut durch die Gitterstäbe eines Tors in die Welt dahinter. Da ist ein kleiner Park mit Springbrunnen, ein Haus, nein, fast schon ein Schloss. Kurz, es ist jene Welt, die Angel Deverell nie betreten wird, es sei denn als Dienstbotin. Eine Welt des Reichtums und der Schönheit und Angel sinkt fast nieder vor Sehnsucht und – schreibt Romane!

Dieser Film ist ein Hohelied auf den Kitsch mit den Mitteln der hauchzartesten Ironie sowie des Dreißiger-, Vierziger-Jahre-Kinos. Er ist ähnlich rückhaltlos ausgestattet wie die Romane der werdenden Erfolgsautorin Angel, die da allesamt Titel tragen wie „Schmetterlinge sterben nicht“, „Drama in Delphi“ oder „Herzen in Venedig“. Das ist wunderbar. Das ist sublim. Denn wie sonst soll man den Kitsch entlarven als durch den Kitsch selbst? Abgesehen davon, dass Entlarver grundsätzlich trivial sind. „Angel“ ist zugleich François Ozons Liebeserklärung an seine Hauptheldin. Und eine Heldin ist Angel.

Beethoven wäre nie Beethoven geworden, hätte er nicht gewusst, dass er Beethoven ist. Das ist wohl war, gilt aber auch für etwas anders gelagerte Begabungen. Angel Deverell wäre nie Angel Deverell geworden, hätte sie nicht gewusst, dass sie Angel Deverell ist! Denn sie besitzt die Unbedingtheit und die Kraft der Größten, auch wenn nicht alle Kritiker auf der Berlinale das verstanden haben.

Die junge Britin Romola Garai (Foto) spielt das Fin-de-siècle-Mädchen Angel Deverell aus der tiefsten englischen Provinz, deren Mutter einen kleinen Lebensmittelladen hat. Angel Deverells gefühlte Berufung verhält sich umgekehrt proportional zu den Verhältnissen, aus denen sie stammt. Garai gibt ihrer Angel eine geradezu unwiderstehliche Arroganz, die besonders die Dienstboten des Lebens zu spüren bekommen. Der größte Fehler von Kitschromanen und -filmen besteht gemeinhin darin, dass sie nicht lustig sind. „Angel“ ist es.

Ozons Bildsprache hat sich schon immer seinen Gegenständen anverwandelt statt sich über sie zu erheben. Und die angemessene Bildsprache eines Films über eine Seelen-Schwester Hedwig Courths- Mahlers ist nun mal die des Groschenromans. Ozon beherrscht sie bis ins Detail und denkt sogar daran, über den ersten Kuss, den Angel dem Mann ihrer Wahl gibt, einen Regenbogen zu spannen. Wunderbare Groschenroman-Hommage.Kerstin Decker

„Angel“, F/GB/Belgien 2006, 119 Min.,

R: François Ozon, D: Romola Garai, Michael

Fassbender, Charlotte Ramling, Sam Neill

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false