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Kultur: Menschen ohne Marktwert

Über die Schwierigkeit, von der Kunst zu leben. Zu Besuch bei drei Erfolglosen

Werner Hugol, so möchte er sich in der Zeitung genannt sehen. Er, der eigentlich ein „von“ im Namen trägt, will mit seiner adligen Sippe nichts mehr zu tun haben, dieser „Patchwork-Familie voller Monstren“. Im Bademantel öffnet er die Tür, mit Zigarette in der Hand, es ist nachmittags halb drei. Aha, denkt man sofort, der hält sich für einen Bohémien. Die Haare hätte er sich auch mal waschen können.

Werner hat gearbeitet, Nachtschicht in einer Rundfunkanstalt. Dort ist er Techniker, verdient das Geld, um Tabak, Bier und vor allem Zeit zu kaufen. Werner schreibt auf einem Dinosaurier von PC, trägt ausgelatschte Lederschuhe und zu große Hemden. Die spärlich eingerichtete Wohnung teilt er sich mit einem Freund. „Erst mal Kaffee machen.“

Werners Zimmer, dritter Stock, 12 Quadratmeter, vor dem Fenster rauscht ein Baum. Stunden verbringt er in dieser Mönchszelle, hackt in die Tasten seines Computers, Seite um Seite, es müssen Tausende sein. Werner, Jahrgang 1970, nennt sich Schriftsteller, gedruckt worden ist nicht eine einzige seiner Zeilen. Trotzdem feilt er gerade an einem historischen Roman, „tausend Jahre deutsche Geschichte“. Die eigene Familie liefert den Stoff: „Meine Vorfahren gehören seit jeher zu den Steigbügelhaltern der Macht in Deutschland. Einer rettete Friedrich dem Großen das Leben, einer anderer metzelte die Tartaren nieder: Ritter, Feldherren und Nazis.“

Mit den eigenen Eltern aber verbindet Werner vor allem eine schreckliche Jugend. Der Vater, der beim BND arbeitet, zieht zu Hause „eine kleine DDR“ auf. In den „allabendlichen Schauprozessen“ beschuldigte ihn die Stiefmutter Dinge angeblicher Vergehen. Er wird eingesperrt. Weil er die Wahrheit festhalten will, fängt er an, zu schreiben. Nachdem die Stiefmutter seine Tagebücher findet und verbrennt, rührt Werner jahrelang keinen Stift mehr an.

Als der Vater einen „politischen Beobachterposten“ in Indien annimmt, besucht Werner die dortige US-Schule, wird zum Schachmeister der südostasiatischen Schulen. Doch die Eltern schicken Werner wieder fort, auf ein süddeutsches Internat, wo er die heute erfolgreichen Literaten Christian Kracht und Moritz von Usslar kennen lernt, die „mich nicht schätzten und die ich auch nicht schätze“. Werners Devise lautet: Ein Schriftsteller muss hart sein gegen sich selbst.

Vom Schwarzwald zieht es ihn nach Schwarzafrika, Zaire, Sudan, Uganda, er verhungert fast, bettelt, verbittert und macht sich hart. Nach ausgedehnten Reisen kommt er, 24 Jahre alt, nach Berlin. Er lebt in verlassenen Häusern – bis er sich zusammenreißt und wieder zu schreiben beginnt.

„Spintisieren“, so nennt er seinen Stil. Werner, warum klappt es nicht mit der Schriftsteller-Karriere? „Ich stehe mir selbst im Weg. Ich habe Superkontakte in den Verlagen, aber ich lasse die Termine verstreichen. Der Leidensdruck ist nicht groß genug. Ich trinke immer noch öfter Bier als Wasser.“ Und er sagt es mit einem Augenzwinkern. Werner nimmt sich selbst nicht ernst genug, kann sich nicht verkaufen. Werner, wird noch was aus der Karriere? „Davon bin ich überzeugt. Wenn nicht Morgen, dann nach meinem Tod.“

Hanna Böscke erschrickt als sie die Nackten auf dem Bildschirm sieht. Von Porno war nicht die Rede gewesen. Der Chef einer Synchron-Firma hatte sie vor ein paar Tagen angerufen. Er fände ihre Stimme super. Ob sie nicht mal abends zum Vorsprechen in sein Büro kommen wolle. Da steht sie nun und „der will, dass ich abstöhne, meint: ‚Hardcore ist schnell verdientes Geld, Mädchen!’“ Hanna flüchtet. „Hätte ich ihm einen geblasen, hätte ich den Job gehabt.“

Jetzt arbeitet Hanna, die ihren richtigen Namen auch nicht nennen möchte, in einer Kneipe in Kreuzberg und sagt, dass sie Angst davor hat, in fünf Jahren immer noch dort zu arbeiten. Es hilft, dass es ihren Kollegen auch nicht besser geht: Fotografen und Architekten, alle um die dreißig, alle arbeitslos. „Ist ja auch keine Schande in Berlin. Aber mit 20 hätte ich nicht gedacht, dass ich zehn Jahre später bei minus zehn Grad Kohlen in den vierten Stock schleppe. Ist ja wie im Krieg!“

Hanna ist groß und schlank, hat rote Haare und Sommersprossen. Sie steht am Ententeich und schleudert armdicke Äste ins Wasser, ihr Hund schwimmt hinterher. Sie ruft: „Zeig, was du kannst!“ Hanna hat in Berlin Psychologie studiert und ist gleichzeitig auf eine Schauspielschule gegangen. Als sie vor zwei Jahren damit fertig war, fing die Rezession an und das einzige, was sie von den Schauspielagenturen hörte, war: „Sie haben Persönlichkeit und eine tolle Stimme, aber wir haben keine Aufträge mehr.“ Jetzt glaubt Hanna, dass es die falsche Zeit ist.

„Vielleicht fehlt mir aber auch nur die Ausdauer, ich habe immer Angst, mich aufzudrängen.“ Selbstzweifel nagen an der Frau, die sich als „einst sehr ehrgeizig“ beschreibt. „Im Fernsehen suchen sie ja nur noch junge Hüpfer.“ Hanna erzählt das mit ihrer tiefen, ein wenig rauchigen Stimme sachlich, so als ob sie eingesehen hätte, dass sich jeder bescheiden müsse. „Trotzdem ist Misserfolg ärgerlich, weil ich das Gefühl habe, dass viel vom Zufall abhängt.“ Für eine Psychologie- Show auf Sat 1 war Hanna schon so gut wie engagiert. Bis das Testpublikum sie für nicht alt genug befand.

Den Traum von der Schauspielerei hat Hanna vorläufig zu den Akten gelegt. „Zum Glück habe ich noch einen Joker.“ Hanna arbeitet manchmal in einer Internet-Expertenzentrale als Beraterin, Spezialgebiet: Depression und Burnout-Syndrom.

In Paola Sturiales Zimmer ist ein Bett und darauf stehen Bilder. Sie stehen auch auf dem Ofen, im Flur, im Keller und bei den Nachbarn. Es sind kräftige Bilder von bleichen Menschen mit aufgerissenen Augen, spitzen Nasen und knochigen Händen. Die Hintergründe vor denen Paolas Kreaturen agieren sind meist höllenrot, Paola sagt „rot wie die Liebe“. Sie hat nichts dagegen, dass ihr Name in der Zeitung steht, sie empfindet die Erfolglosigkeit nicht als Makel. „Ich verkaufe schon noch“, ist sie überzeugt.

Die sehr schmale Frau ist 28 Jahre alt, kommt aus der italienischen Hafenstadt Livorno und wollte schon als Kind nach Berlin. Sie hatte im Radio das Lied „Che giorno è in Berlino?“ („Welcher Tag ist in Berlin?“) gehört und sich die Stadt als „Ort ohne Zeit“ ausgemalt. Mit 22 bricht sie auf. Sie spricht kein deutsch und kennt keinen Menschen, aber die Stadt ist, wie sie es sich erträumt hat: „Es gibt weder Tag noch Nacht, Berlin ist Kunst.“ Sie streift durch Galerien und Museen, arbeitet ab und zu in einem Büro, hält es aber nie länger als zwei Monate aus. Auf der Straße lernt sie Stefan kennen, er ist Maler wie sie, malt dunkle morbide Bilder. Sie ziehen zusammen, teilen sich ein Zimmer im Prenzlauer Berg. Jede freie Minute, die sie haben, malen sie. „Das ist für mich wie sprechen“, sagt Paola und blickt einen mit kajal- umrandeten Augen lange an.

Das Paar versucht seine Bilder zu verkaufen, aber die Galeristen zeigen sich desinteressiert. „Besonders in Mitte ist der Umgang kalt und oberflächlich.“ Paola, die einen kleinen Punkte auf Stirn und Kinn tätowiert hat, redet so leise, dass man sie kaum versteht. Sie raucht viel. Paolas schwarzer Kater schreit, weil er Hunger hat.

Paolo und Stefan haben wenig, immer gerade genug Geld für Essen, Miete und Ölkreide, malen auf Holz statt auf Leinwand. Irgendwann kriegt Paola mit, dass Stefan die Nachbarn um Geld anpumpt. Sie geht der Sache nach und merkt, dass er heimlich auf dem Klo Crack raucht. Sie schmeißt ihn raus: „Er wisse nicht mehr, was die Realität sei, hat er gesagt. Jetzt hat er ja eine, schläft auf der Straße und verkauft den Straßenfeger.“

Im Chaos des Umzugs sind fast alle seine Bilder gestohlen worden. Ein Achselzucken, mehr hat er dafür nicht übrig. Stattdessen kommt er zurück in die Wohnung und zerstört einige von ihren Bildern. „Ich habe keine Angst, etwas zu verlieren“, sagt sie. „Ich verkaufe nichts? Scheißegal! Ich liebe diese Farben.“

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