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Kultur: Menschenfresser haben immer Hunger

THEATER

Von Sandra Luzina

Eine einzelne weiße Feder schmückt die ergrauten Locken des Peter Kern – das ist aber auch schon das einzige Zugeständnis an den Indianer-Fasching. Nestroys letztes Stück „Häuptling Abendwind oder das greuliche Festmahl“ spielt zwar angeblich unter Südseeinsulanern mit ausgeprägten kannibalistischen Neigungen, ist aber doch unschwer als wienerischer Schmäh des 19. Jahrhunderts zu erkennen. Regisseur Thorsten Lensing hat Nestroys Bühnenschmaus in den Berliner Sophiensälen (nur noch einmal heute, 20 Uhr) nun bis auf die Knochen zerlegt, alles Operettige ausgedünnt.

Als gemütliche Ungeheuer karikierte hier Nestroy, der sonst auch sehr ungemütlich werden konnte, seine Landsleute. Peter Kern als Abendwind, Häuptling der Großlulu, ist da die Ideal- oder besser gesagt: Maximalbesetzung. Der Viel-Zentner-Mann , der seine Karriere als Wiener Sängerknabe begann, ist auch ein darstellerisches Schwergewicht – und gibt seiner Rolle als hungriger Menschenfresser kolossalen Witz. Dass er ausgerechnet den schnuckligen Frisör zum Fressen gern hat, glaubt man ihm sofort. Kern ist ein verschlagener Satansbraten, er treibt nicht nur die Selbstverspottung des Wienerischen auf die Spitze, sondern verkörpert phänotypisch ein zivilisatorisches Verkommenheitsstadium.

Miriam Goldschmidt als Abendwinds Tochter Atala ist eine spröde Kratzbürste und verkrächzt mit Vorliebe ihre Auftritte. Der Clou der Inszenierung: Den mit Abendwind verfeindeten Häuptling Biberhahn stattet der Senegalese Gilbert A. Diop, Sproß einer Griot-Familie, mit schwarzafrikanischem Humor und majestätischen Gebärden aus. Der schwarze und der weiße Mann reiben zur Begrüßung ihre Hinterteile aneinander. Am Ende stimmt ein Männerchor in schwarzen Anzügen den Kriegsgesang der Papatutu an: Hula, hulla, hulla, hulla. Spätestens dann fragt man sich: Wer ist hier der Wilde?

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