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Kultur: Menschliche Moderne

Zum Abschluss des Musikfests Berlin: ein Abend mit Hanno Müller-Brachmann und András Schiff.

Das Musikfest Berlin 2013 endet, wie es begonnen hat: mit leisen Tönen. Winrich Hopp, dem künstlerischen Leiter, ist es ein Bedürfnis, dem festlichen Eröffnungskonzert stets ein kammermusikalisches Präludium voranzustellen, diesmal mit dem Emerson String Quartet. Und den Abschluss bildet am Mittwoch einmal mehr ein Benefizkonzert, veranstaltet mit den Internationalen Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs. Eine schöne Geste der Berliner Festspiele ist das, jeweils gestaltet von Künstlern, die aus ihrem Elfenbeinturm in die Welt hinausschauen. Auf die problematischen Entwicklungen in Ungarn beispielsweise, wie der Pianist András Schiff, der sich zugunsten der Arbeit von Human Rights Watch im Kammermusiksaal mit dem Bassbariton Hanno Müller-Brachmann zusammentut.

Große sinfonische Abende waren seit dem 31. August beim Musikfest zu erleben, mit Gästen aus Amsterdam, München und London, aber auch mit den Musikern der Deutschen Oper, dem RSB wie dem DSO. Dass viele Auftritte der auswärtigen Spitzenensembles nicht ausverkauft waren, mag auch an der Qualität der hiesigen Orchester liegen. Warum in die klangliche Ferne schweifen, fragt sich mancher Abonnent, wenn das Gute so nahe liegt? Weil es sich immer lohnt, seine Ohren anderen Klangkulturen, anderen Traditionen zu öffnen. Der aufmerksame Hörer jedenfalls konnte auch diesmal wieder feststellen, dass in unterschiedlichen Regionen aus einem jeweils anderen Geist heraus musiziert wird.

Fünf Komponisten hatte Winrich Hopp in den Fokus gerückt, Janácek, Bartók und Lutoslawski einerseits, Britten und Schostakowitsch andererseits. Ein Panorama der Moderne des 20. Jahrhunderts wurde damit aufgespannt, und zwar der Moderne jenseits von Schönberg-Kreis und Darmstädter Schule. Die Undogmatischen mag man diese fünf nennen, Menschenfreunde waren sie allesamt, weil sie den Tönen in ihrer Umgebung nachhorchten und das Erlebte – jenseits einengender Theoriegebäude – zu klangsinnlichen Partituren formten. Konsequent herausfordernd sind die Programme, zu denen Winrich Hopp seine Mitstreiter beim Musikfest ermutigt.

Ein kompromisslos komponiertes Konzept präsentieren auch András Schiff und Hanno Müller-Brachmann am Mittwoch im ausverkauften Kammermusiksaal. Mit Charakterstücken für Klavier solo bereitet der Pianist zwei Liederzyklen vor. In Bartóks Suite von 1916 lässt Schiff die ersten Stücke maschinenhaft abschnurren, ohne sie ins Mechanische zu verflachen, um die Musik dann im Finale sanft in die Stille zu überführen. Es ärgert ihn sichtlich, dass ein übereifriger Fan nicht in der Lage ist, diese einkomponierte Abwesenheit von Klang auszuhalten und vor der Zeit losklatscht.

Als Deklamation mit obligatem Klavier hat der Dirigent Antal Dorati 1975 Rilkes „Stimmen“-Gedichte notiert: Musik gesellt sich eher assoziativ als illustrierend zum Wort. Dank seiner absolut vorbildliche Textverständlichkeit ist Müller-Brachmann ein idealer Interpret dieses recitar cantando, dieses singenden Sprechens. Seine hochseriöse Erscheinung, seine Neigung zum Kammersängerton lässt die bitteren Verse über gesellschaftliche Außenseiter noch kraftvoller erscheinen. Nach Janáceks „Auf verwachsendem Pfade“, von Schiff mit bewundernswerter poetischer Präzision gespielt, zeigt der Bassbariton in Mussorgskys „Lieder und Tänze des Todes“ eine fast schon beängstigende Rollenidentifikation. Mephistophelisch der Charme, mit dem er sterbende Kinder, Jungfrauen und Säufer umschmeichelt, bevor er als Feldherr triumphiert: Nennt mir einen Krieg, aus dem ich nicht als Sieger hervorging! Frederik Hanssen

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