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Kultur: Mephisto reibt sich die Hände

Wenn der New Yorker Gitarrist Gary Lucas nach Berlin kommt, ist es immer ein bißchen, als würde er nach Hause zurückkehren.Beim Berliner Jazzfest begann vor mehr als zehn Jahren seine Laufbahn als Solo-Musiker.

Wenn der New Yorker Gitarrist Gary Lucas nach Berlin kommt, ist es immer ein bißchen, als würde er nach Hause zurückkehren.Beim Berliner Jazzfest begann vor mehr als zehn Jahren seine Laufbahn als Solo-Musiker.Doch ist es nicht allein dieser markante Punkt in seiner Vita, der den Gitarristen mit dem leidenschaftlichen Ton an die deutsche Hauptstadt fesselt.Gary Lucas hat unter der Nazi-Herrschaft einen großen Teil seiner Vorfahren verloren und versucht nun von jüdischer Seite aus, Brücken zu schlagen.So nutzt er jede Gelegenheit, Zeugnisse der deutsch-jüdischen Geschichte aufzuspüren und weiß so manche Geschichte zu erzählen, die selbst dem eingefleischten Berliner fremd ist.

In der Band von Captain Beefheart, die er heute noch "Beefheart University" nennt, studierte Lucas die psychoakustischen Gesetze der Musik.Von Anfang an setzte er sich über Genregrenzen hinweg und ließ nur das aus sich heraus, was ihn im jeweiligen Moment des Spiels unmittelbar berührte.Sein Debüt-Album "Skeleton At The Feast" gehört zu den Klassikern der modernen Gitarrenauffassung, und auf fünf weiteren Alben vermochte Lucas ein dichtes Beziehungsnetz vom klassischen Folksong über Aspekte des Progressive Rock und Free Jazz bis hin zu Heavy Metal und Klassik zu knüpfen.Schon vor John Zorn beschäftigte er sich mit jüdischen Themen und gelangte dabei auch zum entgegengesetzten ästhetischen Ufer."Als Jude die wunderbare Musik des Antisemiten Richard Wagner gerade vor einem deutschen Publikum aufzuführen, ist für mich eine Herausforderung."

Mit seinem "Golem"-Projekt - auch dies ein Tauchgang in deutsch-jüdische Zwischenwelten - spielte er als erster Musiker der neueren Zeit live vor einem Stummfilm und brachte damit einen weltweiten Trend ins Rollen.Als Autor von Jeff Buckleys Hits "Mojo Pin" und "Grac" gehen darüber hinaus zwei Juwelen der Pop-Musik auf sein Konto.Nichts ist jedoch mit dem Live-Erlebnis des Musikers vergleichbar.Er verschmilzt nicht nur derartig mit seinen Instrumenten, daß die Übergänge von Haut und Fleisch in Holz und Draht kaum mehr nachvollziehbar sind, er wird auch eins mit seinen Melodien.Sein Sound ist wie ein Zauberwald, in den man nur immer tiefer hineingerät, ohne den Wunsch zu verspüren, sich jemals wieder zu entwinden.Egal, ob er auf der akustischen oder elektrischen Gitarre spielt oder ob er gar die Dobro rausholt, Lucas gibt seinem Publikum das Gefühl, an einem Geheimnis teilzuhaben, das sich dem gewöhnlichen Sterblichen sonst verschließt.Auf seinem jüngsten Album "Busy Being Born", einer Sammlung alter und neuer jüdischer Kinderlieder, läßt er Feen und Monster aus seinen Saiten springen.Lucas entpuppt sich als Kinderschreck.Mit mephistophelischer Freude reibt er sich die Hände."Ich mag es, Leute zu erschrecken.Schon als Kind ließ ich mich gern selbst erschrecken.Nichts anderes vermag uns wirklich wachzurütteln." Es ist unmöglich, vorauszusagen, worauf man sich bei einer Solo-Performance des manischen Soundforschers einläßt.Sicher ist nur, daß er mit seinen Gitarreninjektionen tief unter die Haut jedes Zuhörers dringen wird.

Gary Lucas begleitet "Der Golem" am Dienstag in der Insel, 21 Uhr

WOLF KAMPMANN

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