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Kultur: MephistosTagebuch

Im Kino: Hal Hartleys Inspirationskomödie „Henry Fool“

Es ist die Stunde der höchsten Not. Simon liegt erschöpft am Boden. Da taucht mitten im Sonnenuntergang aus den Weiten der Ebene eine Silhouette auf: Henry Fool. Gepflegt im Dreireiher, in der Hand einen Lederkoffer, hat dieser Henry Fool etwas Messianisches. Doch Christus kommt nur bis in den Keller von Simons heruntergekommenem Wohnquartier – und zwischen rostigen Heizkörpern und leckenden Rohren entspinnt sich eine wunderbare Freundschaft.

Es ist ein starker Akkord, mit dem Hal Hartley diese Freundschaft intoniert. Und all seine Mühe, diese Wucht alsbald wieder herauszunehmen, Simon und Henry in die schmutzige Vorstadtwelt der Dropouts und Kleinkriminellen zu stoßen, hilft nichts: Das Thema behält seine alttestamentarische Wucht. Der schüchterne Müllmann, die depressive Mutter, die nymphomanische Schwester (glänzend: Parker Posey), der brutale Nachbarsjunge: All das hätte einem Ken Loach, einem Mike Leigh als Filmstoff genügt. Für Hal Hartley ist es nur Kolorit für eine andere Geschichte. Und vielleicht ist gerade der hohe Ton der Grund dafür, dass der 1998 in Cannes gezeigte „Henry Fool“ erst jetzt nach Deutschland kommt, in ein einziges Berliner Kino, im Selbstverleih. Es war ein weiter Weg seit den exzentrischen Komödien von „Flirt“ und „Amateur“.

Es geht in „Henry Fool“ um Freundschaft, Verrat, Ehrgeiz und Erfolg, Inspiration und Talent. Es ist die alte Geschichte vom Kaspar Hauser, der ohne Sprache aufwächst und seinen Lehrer überflügelt. Oder vom Faust, der sich einem Mephisto anvertraut. Wobei natürlich Mephisto alias Henry Fool der interessantere Charakter ist. Jeder Dialog gerät ihm zur grandiosen Suada, und allein für diese Sprachgewalt war der Drehbuchpreis verdient, mit dem das Festival in Cannes Hartley ehrte. Doch nicht der Selbstsichere, der jederzeit einen passenden Spruch auf den Lippen hat und so ungeheuer eloquent alles analysiert, sondern der schweigende Beobachter mit dem blassen, verschlossenen Gesicht schreibt ein „Poem“, das Stumme zum Singen bringt und die depressive Mutter zum Klavierspielen.

Und doch ist der Weg des Underdogs zum Nobelpreis der vorhersehbarste Aspekt des Films. Die Satire auf die Verlagsleute, die Simons Poem als perfekt randgruppentaugliche Literatur entdecken, ist recht simpel geraten. Spannender ist das Kräfteparallelogramm zwischen Inspiration und Anleitung, Mut und Verzweiflung, das sich zwischen Henry und Simon aufbaut. Beide sind traurige Helden und hoffnungslose Loser, oszillieren zwischen Genie und Wahnsinn. Und einen der mitreißendsten Hochzeitsanträge der Filmgeschichte hat Hartley auch noch zu bieten.

In Berlin im Kino fsk am Oranienplatz (OmU)

Christina Tilmann

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