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Jackson

© dpa

Michael Jackson: König ohne Kindheit

Ein Traum von Peter Pan: Am Freitag wird Michael Jackson 50 Jahre alt - Glückwunsch an einen Mega-Freak.

Der Thron des King of Pop war schon eine ganze Weile verwaist. Staub und Spinnweben bedeckten ihn. Jahr für Jahr schwand die Hoffnung, dass wieder jemand darauf Platz nehmen würde. Doch dann kam Barack Obama und wurde Michael Jacksons legitimer Nachfolger als größter Popstar der Welt.

Jackson hat gute Vorarbeit geleistet. Denn er war es, der als erster Schwarzer ein schwarzes und weißes Massenpublikum begeisterte. Yes, he could! Ein ganzes Jahrzehnt lang regierte er mit seinen drei von Quincy Jones produzierten Platten die Popwelt. „Thriller“ von 1983 ist bis heute mit mehr als 100 Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Album aller Zeiten. Seine Videos waren revolutionär, sein Tanzstil phänomenal. Selbst Madonna und Prince, die damals auch zu Weltstars aufstiegen und kürzlich ebenfalls 50 wurden, konnten da nie ganz mithalten.

Jackson war in den Achtzigern überall. Es sah so aus, als könnte ihn nichts und niemand stoppen. Das hat er selbst offensichtlich auch geglaubt und sich nach und nach seine ganz eigene Realität geschaffen. Es begann mit seinem Gesicht, das er operativ modellieren ließ wie eine Skulptur. Selbst die Farbe seiner Haut hellte er auf. Dann schuf Jackson sich sein eigenes Traumland: die Neverland-Ranch, ein gigantisches Anwesen in der Nähe von Santa Barbara. Benannt nach der Heimat von Peter Pan, ausgestattet mit Vergnügungspark, Kino und Zoo. Hierher lud er sich Busladungen von Kindern ein, feierte Partys mit ihnen. Einige blieben auch über Nacht oder schliefen mit ihm in einem Bett. Nachdem Jackson in seinem zweiten Prozess wegen sexueller Belästigung eines minderjähriger Jungen im Jahr 2005 freigesprochen worden war, schloss er Neverland und zog ins Königreich Bahrain. Es war das Ende einer schier endlosen Serie von bizarren Skandalen. Einer davon fand im Berliner Hotel Adlon statt, wo der Sänger kurz ein Baby aus seinem Fenster gehalten hatte.

Um zu verstehen, wie dieser einst so strahlende Star zu einem derartigen Freak werden konnte, muss man weit zurückgehen. Jackson selber hat einige Erklärungsansätze gegeben, etwa in seiner Autobiografie „Moonwalk“ aus dem Jahr 1988. Darin berichtet er, wie sein Vater Joseph ihn und seine vier älteren Brüder zur Boyband Jackson 5 ausbildet. Der harte Drill beinhaltete auch Schläge mit dem Gürtel und einer Rute. Nächtliche Auftritte in Strip-Lokalen sind für den Knirps Routine. Es folgen zahllose Talentwettbewerbe und schließlich der Durchbruch bei Motown Records. Mit elf Jahren ist Michael Jackson auf dem Cover des „Rolling Stone“ und sorgt bei jedem Einkaufbummel mit seinen Brüdern für kreischende Menschenaufläufe. Eine normale Kindheit sieht anders aus.

In seinem Song „Childhood“ (1995), den Jackson als seinen ehrlichsten und autobiografischsten bezeichnet, singt er „It's been my fate to compensate, for the childhood I’ve never known“. Das Video zeigt ihn weiß wie eine Fee in einem düsteren Wald sitzen, während über ihn Kinder in Holzbooten hinwegschweben – wieder ein Peter Pan-Motiv. Jacksons Verehrung für diese Märchenfigur geht so weit, dass er sich selbst als Peter Pan bezeichnet. Der Mann, der nicht erwachsen werden will, weil er es schon immer war. Ein unentrinnbares Paradox.

Dass er morgen 50 Jahre alt wird, will er selbst wahrscheinlich am wenigsten wissen. Schließlich hat er jahrelang daran gearbeitet, sich in ein zeitloses Kunstwesen zu verwandeln – weder schwarz noch weiß, weder Mann noch Frau. Diese Figur ist letztlich nur die Weiterführung der Performancekunst, die der Stahlarbeitersohn aus einer Vorstadt von Chicago seit seinem fünften Lebensjahr perfektioniert hat. Weil er auf der Bühne aufgewachsen ist, hat er nie gelernt, die Grenze zwischen künstlerischer und realer Welt zu akzeptieren. Und so bespielt er die reale Welt, als sei sie eine Bühne. Dass er inzwischen in der irrealen Glitzerstadt Las Vegas wohnt, ist da nur allzu passend.

Bei den Jackson 5 stach er immer heraus. Obwohl er der jüngste war, hatte er die Leadstimme. Seine Lässigkeit und Präsenz auf der Bühne waren umwerfend. Margo Jefferson nennt ihn in ihrem gerade erschienen sehr lesenswerten Essay „Über Michael Jackson“ (Berliner Taschenbuchverlag, 176 S., 9,90 €) „die Shirley Temple unserer Tage – der größte Kinderstar überhaupt“. Sie greift auch ein Phänomen auf, das für das Verständnis von Michael Jacksons ungewöhnlicher Sozialisation zentral ist: In Songs wie „ABC“ oder „I want you back“ geht es wie meistens im Pop um Liebe und Verlangen – allerdings singt hier ein Elfjähriger. „Mit diesen Hits wurde Michael zum Sexobjekt – eigentlich zu einem richtigen Sexspielzeug. Und erst die Art, wie er tanzte!“ schreibt sie und gesteht eine Seite später, dass sie und ihre Freunde das damals „toll und nicht etwa sonderbar“ fanden. Wie die Mehrheit des Publikums übersahen sie einfach, dass dieser süße, kleine Junge vor aller Augen dazu benutzt wurde Erwachsenenfantasien durchzuspielen.

Seine Performance bei den Jackson 5 bestand aus perfekt einstudierten Zeichen, die mit etwas aufgeladen sind, das er in seinem Alter überhaupt noch nicht begreifen kann. Während seine Klassenkameraden noch Fangen und Verstecken spielen, weiß er schon, wie eine idealtypische Bühnen-Verführung funktioniert. Sein Vorbild ist James Brown – und er ist ein verdammt guter Schüler. Als Erwachsener macht er den Griff in den Schritt sowie sexy Gesangskiekeser zu seinen Markenzeichen. Auch diese bleiben in der Sphäre der reinen Performance, haben keine Enstprechung in Jacksons Leben. Alle seine so genannten Beziehungen (bevorzugt mit Ex-Kinderstars) sind eher platonisch oder – im Falle der Verbindung mit Lisa Marie Presley – Karriereschachzüge.

Musikalisch hat „Wacko Jacko“ (Spinner Jackson) schon lange nicht mehr für Schlagzeilen gesorgt. Sein letztes Album „Invincible“ ist sieben Jahre alt und war lediglich Durchschnittsware. Einen echten Single-Hit hatte er seit über einer Dekade nicht mehr. Die bessere Michael-Jackson-Musik macht inzwischen Justin Timberlake, der auch tänzerisch von ihm inspiriert ist. Michael Jackson hat es nach „Dangerous“ (1991) nicht geschafft, in der Popwelt relevant oder zumindest interessant zu bleiben – anders als Prince und Madonna. Prince hat seine Nische als verschrobenes Genie gefunden. Madonna betreibt Musik derweil wie Fitness und erzielt immer noch viele Überraschungseffekte. Ein Comeback von Michael Jackson ist derzeit nicht in Sicht, und das ist wohl auch besser so. Mit seinen bizarren außermusikalischen Aktionen hat er seinen Mythos ohnehin fast zerstört. Einen weiteren Schlag würde er schlecht verkraften. Außerdem macht Barack Obama den Job als King of Pop bisher ziemlich gut. Tanzen kann er übrigens auch.

Gerade erschienen: Michael Jackson: „King of Pop“ (SonyBMG) Doppel-CD mit 33 Songs, die seine Fans ausgewählt haben.

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