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Foto: Torsten Silz/ddp

© ddp

Michael Kleeberg: Im inneren Krieg

Der von Hemingway geprägte Michael Kleeberg erzählt die Geschichte der Innenarchitektin Hélène, die sich im amerikanischen Hospital von Paris künstlich befruchten lässt. Erhard Schütz berichtet über ein menschenkluges Zeitporträt.

Hélène, einer Innenarchitektin um die dreißig, die sich im amerikanischen Hospital von Paris künstlich befruchten lassen will, fällt buchstäblich ein Mann vor die Füße. David ist, wie sich herausstellt, ein amerikanischer Soldat, der hier seine Traumatisierungen aus dem ersten Irak-Krieg behandeln lässt. Die beiden treffen sich alle Jahre wieder erneut im Hospital: sie bei immer verzweifelteren Versuchen, doch noch ein Kind zu bekommen. Er immer weiter verfallend, hoffnungsloser in der Aussicht auf psychische Wiederherstellung. Sie unterhalten sich zunächst über Lyrik, erzählen sich dann nach und nach Episoden ihres Lebens, machen schließlich kleine Ausflüge in die Umgebung und werden einander immer vertrauter – bis es 1996 zu einer dramatischen Situation kommt.

Michael Kleebergs letzter Roman „Karlmann“ erzählte 2007 vom Leben eines Hamburger Sportfans, Autohändlers und sexuellen Multipraktikers in den achtziger Jahren, einem Menschen, dem metaphysische Bedürfnisse fremd sind. Vor allem Kritikerinnen hatte der Typus nicht gefallen. Hier jetzt in fast allem das Gegenteil: eine Französin und ein Amerikaner im Paris der frühen Neunziger. Durchaus bürgerliche, gebildete Existenzen, die zwar die Tröstungen des Glaubens nicht mehr kennen, metaphysisches Exil aber in Bibelkenntnis, Literatur, Parks und Friedhöfen finden. Ein amerikanischer Soldat mit Faible für Lyrik? Es gibt bei näherem Hinsehen eine lange Tradition soldatischer Schriftsteller in den USA, darunter auch Lyriker, jüngst etwa Brian Turner mit Gedichten über den Irak-Krieg, dem Band „Here, Bullet“.

„Das amerikanische Hospital“ führt uns in seiner präzisen Konstruktion, in der kein Spatz unmotiviert vom Dach fällt, in eine literarische Welt, die aus unserer Lebenswelt gemacht ist. Was vorkommt, ist nicht nur präzise recherchiert, sondern durch die eigene Wahrnehmung und Lebenserfahrung, Weltklugheit und Vorstellungskraft zusammengehalten. Der 1959 geborene Kleeberg, der Lyrik ebenso wie Marcel Proust übersetzt hat und Hemingway zu seinen prägenden Erfahrungen zählt, verfügt außerdem über eine sprachliche Modulationskraft, die aus Dialogen Geschichten werden lässt und aus erzählten Erinnerungen Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. Hélène erinnert sich dabei an das desaströse Verhalten ihres im Algerienkrieg verstörten Vaters, an den schicken Liebhaber der Mutter, an die Geborgenheit bei der Großmutter, in deren Obhut sie dann aufwuchs.

Das alles ist durchsetzt mit protokollarisch nüchternen Schilderungen der Inseminationsprozeduren. Und aus David brechen schubweise Kriegserinnerungen hervor, die gleichwohl distanziert erscheinen, grausige Bilder, wie das von den sieben Ibissen, die in einem Ölsee krepieren. Oder die Szene, in der David in einem besetzten Dorf erst das Vertrauen der verängstigten Kinder gewinnt – und sie dann gleich im friendly fire umkommen. Kleebergs Erzählen wird nirgends mit Pathos beschwert, sondern von jener Hilflosigkeit getragen, die wir alle angesichts menschengemachter, doch schicksalhaft erscheinender Katastrophen verspüren. Er sammelt Geschichten, Bilder und Gespräche über unseren unbedingten Machbarkeitsglauben wie unsere elementare Imperfektion.

Den Episoden im Hospital, einem Ort, an den wir unsere Krisen auslagern, stehen die im Park und auf dem Père Lachaise gegenüber. Dann die Stadt selbst, in Aufruhr und Krise, im inneren Krieg. Die beiden geraten in das Chaos des Generalstreiks, als sie, einem Impuls folgend, aus dem Hospital davonläuft und er ihr, gegen seine Ängste, hinterher. Im Ausnahmezustand erzählt er ihr in der momentanen Geborgenheit eines Cafés von seinem Besuch des Garten Eden, den Flussmarschen des Irak, die als Wiege der Zivilisation gelten; Mesopotamier und Sumerer siedelten hier, eine reichhaltige Tierwelt und auf schwimmenden Röhrichtinseln wie ursprünglich lebende Menschen – paradiesische Enklave in der brutalen Gegenwart, die, als David davon erzählt, schon nicht mehr existiert. Saddam Hussein hatte sie aus Rache für das Paktieren der Bewohner trockenlegen und zerstören lassen.

Auch hier gibt es kein Happyend. Die beiden, die sich noch einmal besonders nahekommen, gehen am Ende ihre Wege zurück ins Leben, nicht geheilt, nicht versöhnt, aber gefasst. Er wird in den USA als Schreibtischschatten seine Dienstzeit absitzen, die kurz nach dem 11. September enden wird. Sie wird bald alleine leben müssen, nurmehr Katzenmutter, weil ihr Mann – man erfährt es eigentlich nur dadurch, dass er das Rauchen aufgegeben hat – nun doch noch ein Kind bekommt, von einer anderen.

Damit kommt der Erzähler ins Spiel, ein Deutscher, der uns das alles vors innere Auge gestellt hat. Er, Übersetzer der Gedichte von Elizabeth Bishop, über die die beiden eingangs ins Gespräch kamen, ist derjenige, der uns die Originale, die wir nicht kennen können, übersetzt. Allwissend und ungerührt scheint er. Doch er ist es nicht. Denn er beginnt seine Erzählung in einer Art Umkehrung von Mignons Lied („Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?“) mit einer melancholischen Erinnerungsexkursion in einer unwiederbringlich vergangenen Zeit: „Ich bin nicht wieder in die Stadt zurückgekehrt.“

Kleebergs Roman, der auch auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis steht, ist von Anfang an fesselnd, novellistisch streng komponiert und doch mit weitem Horizont – ob in der Darstellung körperlicher Pein des Kinderwunsches, seelischer Qualen aus einem absurden Krieg, ob in Gesprächen über Literatur oder in der Wahrnehmung von Paris. Diese Verdichtung von Menschenkunde und Zeitgeschichte ist ein Glücksfall.

Michael Kleeberg: Das amerikanische Hospital. Roman. DVA, München 2010. 233 S., 19,95 €. – Zum Auftakt seiner Lesereise durch Deutschland stellt der Autor sein Buch heute, Freitag um 20 Uhr im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße vor.

Erhard Schütz

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