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Von zarter Hand gemeuchelt. Sebastiano del Piombo malte die „Judith mit dem Kopf des Holofernes“ – vielleicht auch eine Salome – im Jahr 1510.

© The National Gallery, London

Michelangelo und Sebastiano del Piombo in London: Genie und Geselle

Zusammenarbeit und Konkurrenz zweier Künstler während der römischen Hochrenaissance: Die National Gallery in London zeigt Werke von Michelangelo und Sebastiano del Piombo.

Was ein Museum von Weltrang ist, begreift man beim Betreten der National Gallery in London sofort. Endlos die Folge der Säle, links, rechts, geradeaus, die Meisterwerk an Meisterwerk reihen.

Da mag dann eine Ausstellung unter dem Titel „Michelangelo & Sebastiano“ als nichts Besonderes mehr erscheinen. Zumindest die britische Hauptstadtpresse zeigt sich ungnädig. Dass Michelangelo (1475–1564) ein absolutes Genie ist, weiß man und findet es in den Räumen der Sonderausstellung bestätigt. Hingegen wird sein jahrzehntelanger Freund und Kollege, Sebastiano del Piombo (1485–1547), als völlig zu Recht im langen Schatten des Meisters verschwundener Nachahmer abgetan. Ein Künstler, der immer strebend sich bemüht, aber nichts Großartiges, ja nicht einmal Originelles zustande bringt.

Da ist etwas dran. Auch wenn die Geschichte der Freundschaft beider Künstler voll ist von kleinlichen Intrigen – so ganz daneben kann das kunsthistorische Urteil, über Jahrhunderte gebildet, niemals liegen. Michelangelo verstieß den Jüngeren nach einer Meinungsverschiedenheit aus seiner Gunst und trat heftig nach, kein feiner Zug des ohnehin – etwa vom auftraggebenden Papst – als terribile, als „schrecklich“ beurteilten Großmeisters. Das jedenfalls lässt sich in den Briefen nachlesen, die – vielleicht der größte Gewinn der Ausstellung – aus ihren Archiven befreit wurden und hier zu lesen sind. Sie machen die gezeigte, hochreligiöse Kunst für heutige, prosaische Besucher zumindest besser verständlich.

Linie gegen Kolorit

Um religiöse Kunst geht es, um das, was der Begriff „Historienmalerei“ ursprünglich meint: die Darstellung der biblischen historia. Die beiden Künstler lebten in höchst unruhigen Zeiten; die Reformation schwappte über die Alpen, und wenn sie auch im Rom der hemmungslos ausschweifenden Päpste keine glühenden Anhänger fand, so doch zumindest Vertreter einer neuen Religiosität, die sich insbesondere auf die Jungfrau Maria bezog und damit auf das sinnlich fassbare, katholische Gegenmodell zur protestantischen Schriftgläubigkeit.

Michelangelo, in Florenz am Hofe der Medici ausgebildet – wenn es bei ihm überhaupt viel auszubilden gab –, ist ein genialer Zeichner, der ein Leben lang um die Darstellung des menschlichen Körpers und seiner Gliedmaßen kreist. Sebastiano hingegen stammt aus Venedig und bringt die dortige, farbgesättigte Malerei mit. Linie gegen Kolorit – diese Konstellation, die nicht nur die Renaissance durchzieht, ist in den beiden Künstlern idealtypisch verkörpert. Nur eben, dass Sebastiano immer der Nehmende ist, der die ihm ebenso großzügig wie gönnerhaft überlassenen Zeichnungen Michelangelos in erkennbar mühsamer Arbeit zu Altartafeln und Wandbildern umformt. Allerdings ist es leicht, eine hingeworfene Zeichnung gegen ein aufwendiges Ölgemälde auszuspielen. Solche billige Kritik verkennt allein schon die Unterschiedlichkeit von Skizzenblock und Holztafel.

Die kirchlichen Auftraggeber hatten genaue Vorstellungen von dem, was sie für gutes Geld vom Künstler geliefert haben wollten. Was wir gern als invenzione des Künstlers bewundern, ist in aller Regel das Ergebnis theologischer Überlegungen, die auf eine rasch sich wandelnde Situation von Kirche und Welt antworteten.

Skulpturen zeigt die Ausstellung auch

Die Hervorhebung der Jungfrau, die erzählerische Fülle der Darstellung des Lebens Jesu sind mindestens ebenso sehr Vorgaben der Auftraggeber, wie sie dem kulturellen Milieu der Renaissance entspringen. Nicht zu vergessen deren geistiger Kern, eben die Wiederentdeckung und -belebung der Antike, die aus heidnischen Göttern biblische Gestalten werden lässt – zumal bei Michelangelo, der den auferstandenen Christus nach dem Vorbild eines antiken Apoll formt.

Ja, Skulpturen zeigt die Londoner Ausstellung auch: Originale von Michelangelo und Kopien, wo das Original, wie die allermeisten Werke des Meisters, nicht von seinem ursprünglichen Aufstellungsort wegzurücken war. So leidet die Ausstellung ein bisschen an Etikettenschwindel; denn gezeigt werden Sebastianos Gemälde in einer Fülle, wie man sie noch kaum hat sehen können, ergänzt um besagte Skulpturen, Zeichnungen und Briefe Michelangelos. Dass aber Sebastiano früher eindeutig höher geschätzt wurde, erweist sich schon an dem Umstand, dass das größte Werk, die vier mal drei Meter messende „Auferweckung des Lazarus“, im Inventar des Hauses stolz als „NG 1“ geführt wird: Das Altarbild zählt zum Ursprungsbestand von 1824.

Sebastiano behält das weiche Kolorit seiner venezianischen Ausbildung bei Giovanni Bellini bei, aber da der große Konkurrent in der Gunst der Päpste nunmehr der betörend schön malende Raffael ist, nähert er sich auch dessen kräftigerer Farbgebung an. In den Gliedmaßen seiner Figuren, insbesondere den ausgefeilt perspektivischen Handhaltungen ist Michelangelos Zeichenstift unverkennbar. Da kann dann auch eine ursprünglich männliche Hand an einer weiblichen Bibelfigur Verwendung finden.

Studien des idealen Körpers

Michelangelo übertrieb es ohnehin gerne mit seiner Kraftprotzerei, wie man aus der Sixtinischen Kapelle weiß, und auch die beiden Skulpturen des – was allerdings unerhört war – nackten Jesus, die die Ausstellung zeigen kann, sind zuallererst Studien des idealen Körpers. Sehr gläubig war man in Rom wahrlich nicht. Man betrachte nur Sebastianos Bildnis Clemens VII. von 1526, um alles zu finden, nur keinen glaubenstiefen Papst.

Das allein schon ist ein Werk, an dem Sebastianos authentische Könnerschaft abzulesen ist; was er so vielfältig meisterte, fand beim Thema dieser Ausstellung nun einmal nicht den Weg nach London. In Berlin war vor neun Jahren Besseres von seiner Hand zu sehen, als die Gemäldegalerie eine Gesamtschau seines Œuvres übernehmen konnte; zum hiesigen Bestand zählt die wunderbare „Junge Römerin“, die er um 1513 porträtierte.

Was man in London erfahren kann, ist die Zusammenarbeit und Konkurrenz zweier Künstler im heftigen Kunstgetümmel der römischen Hochrenaissance. Dies – und nicht die (Ab-)Wertung des einen gegen den anderen – ist der Gewinn dieser Veranstaltung, die im Übrigen einmal mehr staunen macht darüber, was ein Weltmuseum wie die National Gallery auf die Beine stellen kann.

London, National Gallery, Trafalgar Square, bis 25. Juni. Katalog 19,95 Pfund. Mehr unter www.nationalgallery.org.uk

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