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Kultur: Miene und Maske

Eine

von Peter von Becker

Überall herrscht heute eine verschärfte Gesichtskontrolle. Auf Flughäfen, in Bewerbungsgesprächen, bei Politikerkarrieren. Einst hatte ein Berliner Regierender Bürgermeister, neben populistischem Zuspruch, noch heftige „Faschismus!“-Vorwürfe geerntet für seinen Ausruf, man müsse „diesen Typen nur ins Gesicht schauen“. Gemeint waren die langhaarigen Studentenrevolteure der 68er-Zeit. Heute aber spricht Harald Schmidt ungeniert von den ihn nervenden Typen mit Ring im Ohr und „Transferleistungsgesicht“. Und der ewigund-dreitagebärtige SPD-Chef onkelt den Typ Enrico wegen seiner Gesichtsstoppeln an. Worauf sich Enrico rasiert und mit neuem Transferleistungsgesicht trotzdem keine Arbeit kriegt oder kriegen will. Immerhin kann einer wie Enrico nun nicht mehr sein Gesicht verlieren.

Das richtige falsche, weil verräterische Gesicht zu finden, haben sich nun immer mehr Terrorfahnder und Kriminalisten zur Aufgabe gemacht. Während der Italiener Cesare Lombroso vor 130 Jahren noch etwas grobtypisch die vermeintlichen Gesichtsmerkmale von Delinquenten katalogisierte (niedrige Stirn, zusammengewachsene Augenbrauen), ist der pensionierte Professor Paul Ekman in Kalifornien schon weiter. Er will in seinem per Gesichtsscreening entwickelten Computerprogramm mindestens 3000 verräterische Mimiken gespeichert haben. Mit seinem „Facial Action Coding System“, genannt Facs, verdient Ekman, der unter anderem 14 amerikanische Flughäfen zu seinen Kunden zählt, inzwischen sehr viel Geld. Dennoch zeigen faciale Faxen wie zitternde Wangenknochen und zuckende Augenbrauen wohl immer noch eher persönlichen Kummer oder allgemeine Nervosität als das spezielle Ticken von Bomberhirnen an.

Verstellung ist viel, Kontrolle mancherorts besser als Vertrauen, und die Politik beginnt beim Schminken in der Fernsehmaske. Wo aber bleibt der natürliche Ausdruck? Er geht auf im öffentlichen Bild, in der zweiten Natur des eigenen Images. Georg Büchners französische Revolutionäre um den des Terrors menschlich müden Danton, sie hatten das Theater der Politik bereits durchschaut. Also argwöhnen sie, es könnten mit ihren Masken am Ende auch „die Gesichter abgehen“. Vor dem letzten großen Abschminken aber wollen die meisten möglichst stolz ihr Gesicht zeigen. Das gilt selbst für Saddam, der auf dem Schafott die schwarze Kappe ablehnte – während die Gesichtsverhüllung den Henkern bleibt.

Im jüngsten Heft 31 der wunderlich wunderbaren Berliner Kulturzeitschrift „Tumult“, das ganz dem Thema „Gesichtermoden“ gewidmet ist, lesen wir nun nicht nur von Gesichtsverlust und Gesichtsgewinn beispielsweise unter den Skalpellen der Schönheitschirurgie und Schönheitsindustrie. Wir lernen auch, dass das Gesicht weniger mit Natur als mit Geschichte zu tun habe im Zeitalter der „Gesichtlichkeit“. Der schreibende Schauspieler Hanns Zischler lässt den „Tumult“, der sich im Untertitel seit fast 30 Jahren „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft“ nennt, in seinem soeben wiedererstandenen Berliner Feinverlag Alphëus erscheinen. Im „Tumult“ verkehren freilich nicht nur Wissenschaftler, vielmehr liegt dem Heft als Beilage auch eine 250 Jahre alte illustrierte Schrift des englischen Zeichners und Gesellschaftsporträtisten William Hogarth bei. Darin sah der Brite bereits gewisse Probleme der heutigen Gesichtskontrollen voraus. So heißt es in der Übersetzung von 1754: „Ein böser Mensch kan, wenn er ein Heuchler ist, seine Muskeln, indem er sie lehret, seinem Herzen zu widersprechen, so regieren, daß man von seinem gesetzten Ansehen nicht viel von seinem Gemüthe urteilen kan.“ Also ist das menschliche Gesicht: ein offenes Buch, mit einer verräterisch rätselhaften Geschichte.

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